Über das Duzen in den Medien
„Und jetzt weitere Nachrichten von Heinz …“ – als Marietta Slomka das Duzen im Heute-Journal begann, hat mich das als Zuschauer etwas irritiert. Denn Heinz, der in alter Nachrichtensprechermanier nüchtern-korrekt die Ereignisse des Tages vortrug, duzte nicht zurück. Irgendwas passte da nicht.
Ein Kollege einer anderen Zeitung, mit dem ich als Redakteur oft gemeinsam Termine besuchte, war Mitglied der SPD. Wie selbstverständlich duzte er in Pressekonferenzen, in denen uns Sozialdemokraten gegenübersaßen, seine Genossen, selbst wenn sie ihn gar nicht kannten. Den Ministerpräsidenten und späteren Kanzler Schröder sprach er ungeniert als „Gerd“ an. Ich fand das befremdlich.
Dass Journalisten sich mit Politikern oder Wirtschaftsgrößen duzen, ist nicht ungewöhnlich. Gerade im Lokalen, wo man sich ständig über den Weg läuft, bleibt das gar nicht aus. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um, wenn man in offizieller Funktion miteinander zu tun hat, gar noch vor Publikum? Oder wenn man ein Interview führt? Einfach weiter duzen? Und wenn ja, wie verträgt sich das mit der Distanz, die Leser und Zuschauer von denen erwarten, die da vorne stehen und andere Leute kritisch befragen sollen?
Es gibt da kein Patentrezept; jeder Journalist muss für sich zusehen, wie er die richtige Balance zwischen unvermeidlicher Nähe und ausreichendem Abstand finden kann, um frei und unabhängig zu bleiben. Ich habe Landräten und Bürgermeistern, mit denen ich mich duzte, in der Zeitung böse Kommentare um die Ohren gehauen. Sie haben mich am nächsten Tag dafür ausgeschimpft und drei Tage später haben wir vielleicht auf einem Geburtstag zusammengestanden und Bier getrunken. So funktioniert das.
Auch in der Zeitung selbst wird hier und da geduzt. Neulich interviewte eine Kollegin einen Kollegen, da wäre es komisch gewesen, wenn die beiden in der Niederschrift ihres Gesprächs das „Sie“ verwendet hätten, wo sie doch wie alle in der Redaktion „Du“ zueinander sagen. Auch ein Interview, das eine kaum 20-jährige Volontärin mit einem Schulsprecher führt, kann in der Zeitung komisch wirken, wenn die beiden sich siezen. Es kommt also auf die Umstände an.
Heikler ist das mit einer Neigung, die nicht nur Journalisten gelegentlich verspüren, bestimmte Personengruppen zu duzen oder in Beiträgen über sie teilweise nur den Vornamen zu nennen. Bei Geschichten über jüngere Leute liest man so etwas oder bei Reportagen über Ältere, die vielleicht etwas hemdsärmelig oder alternativ daherkommen. Im Sport scheint es gang und gäbe zu sein. Bei Migranten passiert es eher als bei hier Geborenen, bei Frauen nach meinem Eindruck häufiger als bei Männern. Hier und da kann es das richtige Stilmittel sein, nur den Vornamen zu nennen, oft aber wirkt es gönnerhaft und von oben herab.
Eine Leserin machte mich auf einen Beitrag aufmerksam, in dem es um behinderte Menschen ging. Auf dem Bild dazu waren Leute mit und ohne Handicap zu sehen. Dabei waren die nicht behinderten alle mit Vor- und Nachnamen benannt, die Menschen mit Behinderung dagegen nur mit ihren Vornamen. Sie fand das diskriminierend.
Ich habe letztlich nicht aufklären können, wie es dazu gekommen ist, ob die Beteiligten das zum Beispiel so gewünscht haben. Aber wäre das so gewesen, hätte die Redaktion darauf besser hingewiesen oder die Namen alle weggelassen. Einen Unterschied auf die Weise zu machen, wie es passiert ist – die einen quasi zu duzen und die anderen nicht – das ist abwegig. Es sei denn, es handelt sich um Kinder, dann mag die Aufzählung der Vornamen in Ordnung sein.
Ich persönlich habe übrigens meine Schwierigkeiten mit dem routinemäßigen Weglassen von Vornamen. „Merkel sagte“, „Steinmeier kritisierte“, „Scholz reiste“. Das klingt bei Prominenten und Amtsträgern zwar ganz normal. In der Berichterstattung über Menschen aus dem Alltag aber wirkt es oft deplatziert, ja geradezu unhöflich. Warum nicht den ganzen Namen nennen? Oder, wie es angelsächsische und französische Medien tun, einfach die gesellschaftsübliche Form nehmen? „Monsieur Macron sagte“, „Mister Biden besuchte“, „Madame Le Pen äußerte die Ansicht“. Das ginge in deutschen Medien doch auch. Mich würde nicht stören, wenn es in der Zeitung hieße: „Frau Baerbock ist die beste Außenministerin, die wir je hatten.“ Auch wenn wir im privaten Gespräch ja eh nur noch von „Annalena“ reden.
Marietta sagt inzwischen übrigens: „Und jetzt weitere Nachrichten von Heinz Wolf!“
Ein Kommentar zu „Nachrichten von Heinz“