Die Medien sind schuld

Von der Kritik eines Polizeichefs und unzulässigen Verallgemeinerungen

Würde ich in dieser Kolumne behaupten, die Polizei sei gewalttätig, wäre mir ein böser Brief des Polizeichefs von Wilhelmshaven gewiss. Und er hätte Recht. Vielleicht gibt es hier oder da mal einen übertrieben robusten Einsatz. Aber die ganze Organisation als gewalttätig bezeichnen, weil einer übers Ziel hinausschießt? In bestimmten Situationen darf und muss ein Polizist nun mal Gewalt anwenden, um Gefahr von sich und anderen abzuwenden.

Jüngst hat mich ein Beitrag irritiert, dessen Überschrift so lautete: „Polizeidirektor geht mit Medien hart ins Gericht“. Darin wird der Leiter der Polizeiinspektion Friesland/Wilhelmshaven, Heiko von Deetzen, in einem Passus über die Medien so zitiert: „Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen.“ Er habe „vor allem den sozialen Medien“ vorgeworfen, die „Sensationslust der Bürger“ befriedigen zu wollen. Als Beispiel wurde der „Impfskandal“ von Roffhausen genannt. Ohne die enorme mediale Aufmerksamkeit, so von Deetzen, hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen eine Krankenschwester, die Spritzen mit Kochsalzlösung statt Impfstoff füllte, wahrscheinlich eingestellt.

Nun war ich bei der Veranstaltung, aus der berichtet wurde, nicht dabei, kenne die Aussagen des Polizeichefs nur aus der Zeitung und weiß nichts über die Stimmung in der Runde. Manchmal sagt man flapsig was daher und geht nicht davon aus, dass es wörtlich zitiert wird. Manchmal wird man missverstanden oder verkürzt wiedergegeben, manchmal vereinfacht man selbst Dinge um der besseren Verständlichkeit willen. Ich halte mich deshalb mit Kritik zurück. Aber ein paar Hinweise seien erlaubt.

Zunächst wäre zu klären, was „die Medien“ eigentlich sind. Nach wissenschaftlicher Definition ist zwischen den „Massenmedien“ einerseits (Presse, Rundfunk, Internetportale) und „sozialen Medien“ (Facebook, Instagram, Whatsapp & Co.) zu unterscheiden. Massenmedien erstellen und transportieren Nachrichten und Meinungen (sind also Sender) und wenden sich an ein Publikum (die Empfänger). Soziale Medien sind dagegen technische Plattformen, die dem Informationsaustausch unzähliger Individuen dienen und auf denen alle Nutzer Sender und Empfänger zugleich sein können. Und wo jeder schreiben kann, was er will.

Es ist ein Unterschied, ob klassische Medien über einen Vorgang wie den mutwillig herbeigeführten Austausch von Impfstoff gegen Kochsalzlösung in einem Impfzentrum berichten und sich mit den Ursachen und Folgen auf der Basis sorgfältiger Recherche beschäftigen, oder ob sich auf Social-Media-Kanälen seriöse Nachrichten mit Halbwissen, Lüge, Polemik und Hass vermengen.

Natürlich dürfen auch Medien kritisiert werden. Ob man den Vorgang in Roffhausen zum „Impfskandal“ hochjazzen musste, wo es doch nur um die Fehlleistung einer einzelnen Person ging, darüber kann man streiten. Auch über die Frage, ob das Ausmaß der Berichterstattung dem Ereignis angemessen war. Aber die Medien in Mithaftung zu nehmen für alle Häme und Hetze, die im Netz über die Vorgänge verbreitet wurden, wäre so ungerecht, als würde man die Polizei verantwortlich machen für das Fehlverhalten eines Türstehers, nur weil der auch Uniform trägt.

Was pauschale Kritik an „den Medien“ gern unterschlägt, ist dies: Auch innerhalb der klassischen Medien gibt es „sone und solche“. Die einen, die sorgfältig recherchieren, einordnen, abwägen, alle Seiten anhören, rechtliche und ethische Aspekte im Hinterkopf haben, bevor sie etwas veröffentlichen. Die anderen, die um billiger Effekte und größtmöglicher Aufmerksamkeit willen verkürzen, zuspitzen, polarisieren oder gar lügen. Und es gibt eine Menge dazwischen. Alle in einen Topf zu werfen, ist ungerecht. Bei Journalisten wie bei Polizisten.

Einvernehmliche begangene Irreführung

Von guten und schlechten Interviews

Mögen Sie Interviews? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich jedenfalls liebe gut geführte Gespräche, ob im Fernsehen, im Radio, im Netz, in Zeitungen oder Zeitschriften. Weil sie mich inspirieren, amüsieren, aufregen, ärgern, zum Nachdenken bringen, was auch immer, alles ist prima. Aber ich hasse schlecht geführte Interviews, weil sie mich langweilen, meine Zeit stehlen, meinen Verstand beleidigen, meinen Anspruch an journalistische Qualität missachten.

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Man könnte meinen, ein Interview zu führen sei einfach. Ein paar schlaue Fragen vorbereitet, auf die der Gesprächspartner mehr oder weniger kluge Antworten gibt, und fertig. Aber nein, ein gutes Interview und erst recht seine Niederschrift ist höchste Kunst. Dabei rede ich noch nicht einmal von Marietta Slomka & Co., die es verstehen, Polit-Profis mit ihren Fragen und ihrem Nachfassen derart zu „grillen“, dass diese entweder mit der Wahrheit herausrücken oder sich als das herausstellen, was sie oft tatsächlich sind, Weltmeister im Verschleiern ihrer wahren Absichten.

Ich rede von niedergeschriebenen Interviews, wie sie auch diese Zeitung regelmäßig veröffentlicht. Und die ganz anders zustande kommen, als viele denken. Zwei böse Zungen, die bekannten Journalisten Wolf Schneider und Paul-Josef Raue, haben in ihrem „Handbuch des Journalismus“ schon vor Jahren behauptet, Interviews seien „eine einvernehmlich betriebene Irreführung des Lesers“.

Das wäre tatsächlich so, wenn Leserinnen und Leser glaubten, ein Frage-Antwort-Spiel sei genau in dem Wortlaut geführt worden, in dem es schwarz auf weiß in der Zeitung steht. Das ist natürlich nicht der Fall. Denn wer spricht schon druckreif, ohne „ääh“, „öhm“, ohne „ja“ und „nicht wahr“ und ohne, dass er mal vergisst, einen angefangenen Satz zu Ende zu bringen. Es ist nicht nur das Recht des Redakteurs, solche Marotten auszubügeln und die Aussagen seines Interviewpartners lesbar und verständlich zu machen, es ist journalistisches Handwerk.

Aber es geht nicht nur darum. Im niedergeschriebenen Interview ist fast alles erlaubt: Fragen dürfen nachträglich verändert und zugespitzt, Antworten gekürzt oder besser auf den Punkt gebracht werden. Der Redakteur kann die Reihenfolge der Fragen und Antworten verändern, ganze Themenkomplexe weglassen, weil die Fragen nicht ergiebig beantwortet wurden, oder auch mal einen Satz zu einer Antwort des Gesprächspartners hinzufügen, damit es für die Leser besser verständlich wird. Alles erlaubt, sofern der Interviewte die Niederschrift vor dem Druck noch einmal zu sehen bekommt und sein Okay gibt. „Autorisierung“ nennt sich das im Fachjargon und ist in Deutschland ein übliches Verfahren vor der Veröffentlichung. Wobei nicht jeder Interviewpartner darauf besteht. „Sie werden das schon richtig machen“, bekommt der Journalist oft zu hören, vor allem, wenn es sich nicht um das erste Interview handelt, das er mit jemandem führt.

Ein handwerklich gut aufbereitetes Interview liest sich, auch wenn es am Ende nur wenig mit dem tatsächlich geführten Gespräch zu tun hat, trotzdem so, als hätten zwei Menschen sich genau mit diesen Worten unterhalten. Als hätte der Interviewpartner hier und da mit seiner Antwort gezögert, noch eine Sekunde nachgedacht, als hätte er sich über eine Frage gewundert oder geschmunzelt.

Tot wirken dagegen Interviews, in denen die Protagonisten so formulieren, als hätten sie gar nicht geplaudert, sondern sich gegenseitig in gestelztem Deutsch Vorträge gehalten. Manchmal liest man Interviews, bei denen schon nach der ersten Frage und Antwort deutlich wird: Die haben gar nicht

miteinander geredet. Da hat der Redakteur nur ein paar schriftlich formulierte Fragen rübergemailt und der Interviewte (beziehungsweise seine Pressestelle) hat schriftlich geantwortet. Oder die PR-Abteilung hat ohne Auftragt gleich das ganze angebliche „Interview“ küchenfertig geliefert. Das ist schlimm, solche Beiträge können einem die Freude an dieser wunderbaren Stilform verleiden.

Auf das nächste gut geführte Interview in dieser Zeitung hingegen freue ich mich jetzt schon jetzt.

Die bedauernswerten Autofahrer

Über die Tücken der Unfallberichterstattung

Zu den Fingerübungen von Praktikanten und Volontären am Beginn ihrer Journalistenkarriere gehört das Schreiben von Polizeimeldungen. Da kann man nicht viel verkehrt machen, denken sich die Ausbilder. Alle Informationen, die man braucht, stehen schon in den Presseberichten der Polizei. Das Ganze etwas flotter und eleganter formuliert – fertig ist das Anfängerstück. Wenn es nur so einfach wäre …

An Unfallstellen ist es meist zunächst unübersichtlich. Wer Schuld hatte, lässt sich oft erst durch gründliche Ermittlungen klären. Umso mehr sollte in der Berichterstattung darauf geachtet werden, dass nicht vorschnell geurteilt wird – und dass der Journalist nicht die „Beifahrerperspektive“ einnimmt. Foto: Helmut Burlager

Die Berichterstattung über Unfälle ist in den letzten Jahren in die Kritik geraten, und das hat mit der Verkehrswende zu tun. Eine Gesellschaft, die jahrzehntelang auf den Ausbau der Automobilität gesetzt hat, beginnt langsam, sich aus unterschiedlichsten Gründen (Klima, Umwelt, Gesundheit, Unfallziffern, Staus) vom Vorrang für Autos zu lösen. Diesen Richtungswechsel haben nicht alle verinnerlicht, die auf Polizeiwachen die Lageberichte und in Redaktionen die Blaulichtmeldungen formulieren.

Nach wie vor wird in den Medien vieles aus der Sicht der Autofahrer und mit Verständnis für deren Sorgen beschrieben. Da überfährt nicht der Fahrer ein vierjähriges Kind, sondern das Kind ist „in das Auto gelaufen“. Da „erfasst“ ein Wagen eine Fußgängerin, weil der Autofahrer „von der tiefstehenden Sonne geblendet“ wurde und nicht, weil der Mann bei schlechter Sicht zu forsch unterwegs war. Eine Radfahrerin „stürzt in den Reifen eines Lkw“, wo doch in Wirklichkeit der Lastwagenfahrer die Frau an einer Einmündung umgenietet hat. Unfälle passieren in diesen Polizeimeldungen, weil ein Chauffeur „die Situation zu spät erkannt“ oder weil er einen Fußgänger oder Radler „übersehen“ hat und nicht, weil er zu schnell oder zu unvorsichtig fuhr. Alles Beispiele aus beliebigen deutschen Medien.

Kritiker nennen das die „Beifahrerperspektive“. Das mag daran liegen, dass die meisten Polizisten und Journalisten selbst Autofahrer sind, es kann aber auch damit zu tun haben, dass nach einer Kollision oft nur der Autofahrer vernehmungsfähig ist, weil der schwächere „Unfallgegner“ (auch so eine fragwürdige Formulierung) im Krankenhaus liegt und seine Version vorerst ungehört bleibt.

Das heikle Thema ist sogar wissenschaftlich untersucht worden, und in der journalistischen Aus- und Fortbildung wird die Branche dafür sensibilisiert, dass die Art der Berichterstattung auch die Art des Denkens beim Publikum prägen kann. Wenn Unfallopfer, obwohl der genaue Hergang meist noch nicht bekannt ist, in den Berichten oft als aktiv dargestellt werden („lief vor den Wagen“) und Verursacher als eher passiv („konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen“), dann löst das beim Lesenden andere Bilder aus, als würde es andersherum geschildert. Zum Beispiel in der Überschrift einer westfälischen Zeitung: „Radfahrerin kracht ohne Helm gegen Auto“. Was sich erst einmal nach „selbst schuld“ anhört, eventuelle Verletzungen eingeschlossen. In Wirklichkeit hatte eine Autofahrerin der Radlerin die Vorfahrt genommen.

Ein Leser hat uns jüngst auf ein anderes Phänomen aufmerksam gemacht. Er wies darauf hin, dass es in Polizeimeldungen häufig so klinge, als seien Kraftfahrzeuge führerlos unterwegs gewesen. Mit Formulierungen wie „Transporter tötet Radfahrer“ oder „Zwölfjährige von Auto angefahren“ werde unterschlagen, dass es ein Mensch war, der am Steuer des Kraftfahrzeugs saß und den Zusammenstoß möglicherweise verursacht hat. Die Person im Auto bleibe oft unsichtbar, hat vor einiger Zeit der Allgemeine Deutsche Fahrradclub beklagt und für eine sorgfältigere Unfallberichterstattung plädiert.

Darum bemüht sich auch diese Zeitung. Über das wichtige Thema, so teilte die Redaktionsleitung dem Briefschreiber mit, werde oft diskutiert. Die gute Nachricht lautet also: Das Problem ist erkannt.

Nicht jeder Preis gereicht zur Ehre

Welche Auszeichnungen Journalisten (nicht) annehmen sollten

Journalisten (das sage ich im vollen Bewusstsein, im Glashaus zu sitzen) neigen manchmal dazu, sich ein bisschen zu wichtig zu nehmen. Nicht wenige empfinden, was sie tun, als staats- und gesellschaftstragend. Sie zeigen „Haltung“, ergreifen Partei, engagieren sich in Angelegenheiten, über die sie eigentlich nur berichten sollten. Oder sie geben sich als unerbittliche Aufklärer, Mahner, Kritiker, bisweilen auch Erzieher.

Der kluge, manchmal missverstandene Rat des einstigen Nachrichtenmoderators Hans-Joachim Friedrichs, Journalisten sollten sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten, gilt in der Branche jedenfalls nicht mehr viel. Dabei hatte Friedrichs gar nichts gegen Engagement und Parteinahme, er wollte seinen Kollegen wohl nur den Hinweis geben, zu allem, worüber sie berichten und was sie kommentieren, die nötige gefühlsmäßige Distanz zu wahren und sich nicht vereinnahmen zu lassen. Keine so schlechte Idee.

Beim Wühlen im Bildarchiv stieß ich auf ein Foto aus den Neunzigerjahren. Es zeigt drei altgediente Lokaljournalisten der in Jever konkurrierenden Zeitungen, wie sie vom damaligen Bürgermeister Siegfried Harms mit der Schlossermedaille geehrt wurden. Sie hätten sich durch ihre Berichterstattung um die Stadt, um die Kommunalpolitik, um Vereine, Kultur und Gesellschaft verdient gemacht, hieß es. Hatten sie? Ja gewiss, denn die Arbeit der Presse ist ja generell nützlich, und die drei hatten auch persönlich viel dafür getan, dass die Bürger stets gut informiert sind, dass Zusammenhalt und Gemeinsinn in der Kleinstadt funktionieren.

Aber sollte man als Journalist so eine Ehrung annehmen? Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die drei Reporter die Medaille auch bekommen hätten, wenn sie den Mächtigen im Rathaus öfter mal auf die Füße getreten wären. Wenn sie nicht mit, sondern gegen den Strom geschwommen wären. Ich hege da meine Zweifel. Fritz Levy, nach dem vor wenigen Wochen in Jever ein Platz benannt worden ist, hätte man vor 30 Jahren auch noch kein Denkmal gesetzt. Er war nicht angepasst genug.

Manchmal ändern sich Sichtweisen mit der Distanz. Wer einen anderen ehrt, der denkt sich jedenfalls was dabei. So wie der ukrainische Präsident Selenskyj, der jüngst drei Journalisten des Springer-Verlages mit dem Verdienstorden seines Landes bedachte. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, der stellvertretende Bild-Chefredakteur Paul Ronzheimer und der Bild-Politikredakteur Julian Röpcke bekamen die hohe Auszeichnung unter anderem, weil sie sich publizistisch für Waffenlieferungen an die Ukraine eingesetzt haben.

Für mich hat das einen merkwürdigen Beigeschmack. Nicht, dass ich die Waffenlieferungen nicht auch unterstützen würde. Aber sich als Zeitungshaus quasi zur Kriegspartei zu machen und dafür Tapferkeitsmedaillen einzuheimsen, entspricht nicht meinem Ideal von unvoreingenommener Berichterstattung. Mögen die Schurken- und die Opferrolle in dem Konflikt noch so eindeutig erkennbar sein, der Journalist, ein ausländischer zumal, sollte eine gewisse Distanz zum Gegenstand seiner Berichterstattung wahren. Schon um der Glaubwürdigkeit willen.

Statt des ukrainischen Verdienstordens hätte der Ostfriese Paul Ronzheimer für seine mutigen Videoreportagen aus dem Kriegsgebiet vielleicht besser den Deutschen Fernsehpreis bekommen, das wäre seines Berufes würdig gewesen. Den haben sie ihm allerdings nicht gegeben.

Leseranwälte gesucht

Wie sich die Idee der Ombudsleute weiterverbreitet

Die Nürnberger Nachrichten suchen einen Leseranwalt. Warum ich Ihnen das mitteile? Weil die Stellenanzeige, die der Verlag Nürnberger Presse jüngst veröffentlicht hat, einen aktuellen Trend widerspiegelt. In einer Zeit, in der Leserinnen und Leser „ihrer“ Zeitung zunehmend kritische Fragen stellen und sich mit plötzlichen Veränderungen nicht einfach abfinden wollen, braucht es Anlaufstellen für Unzufriedene. Und so stößt ein Modell, das vor etwa 50 Jahren in den USA ersonnen und in Deutschland bisher von schätzungsweise 20 Verlagen eingeführt wurde, zunehmend auf Interesse. Das Modell des Ombudsmanns.

Die Nürnberger sind nicht die einzigen, die in dieser Zeit eine solche Stelle schaffen. Im Brune-Mettcker-Verlag gibt es einen Schiedsmann oder Leseranwalt oder wie man den Begriff Ombudsmann sonst noch übersetzen mag, seit einem Dreivierteljahr. Aus der Leserschaft der Wilhelmshavener Zeitung und des Jeverschen Wochenblatts sind seither rund 130 Anfragen und Hinweise eingegangen, alle wurden gewissenhaft bearbeitet. Nicht in allen Fällen, aber oft konnten Fragen beantwortet, Entscheidungen von Verlag und Redaktion erklärt, berechtigte Kritik an die richtigen Adressaten weitergeleitet, Missverständnisse ausgeräumt, Frust abgebaut, Einsichten geweckt und Veränderungen bei Vorgehensweisen und Abläufen erreicht werden. 

Vor einigen Wochen hat die Universität Leipzig die Ergebnisse einer Befragung in fünf deutschen Zeitungsredaktionen veröffentlicht. Daran haben auch Redakteure unseres Hauses teilgenommen. In dem Forschungsprojekt ging es darum, herauszufinden, ob und wie die Arbeit von Ombudsleuten in die eigenen Häuser hineinwirkt. Es wäre übertrieben zu sagen, dass die Einsetzung eines Leseranwalts von allen Mitgliedern einer Redaktion begeistert aufgenommen würde, aber immerhin haben 57 Prozent aller Befragten angegeben, sie hätten ihr Verhalten oder ihre Arbeit schon einmal aufgrund eines Artikels oder einer Reaktion der Ombudsperson überdacht oder geändert. Und 85 Prozent der Teilnehmer meinten, jede Redaktion sollte eine Ombudsperson haben.

Mein persönlicher Eindruck ist: Für manche Leser ist die Hemmschwelle, sich mit einer Frage oder einem kritischen Hinweis an die Zeitung zu wenden, gegenüber dem Ombudsmann geringer als gegenüber einem Mitglied der Redaktion. Sei es, weil man „von denen“ ja in Zukunft vielleicht noch etwas will oder weil man glaubt, sowieso keine Einsicht oder keine Änderung zu erreichen. Sei es, weil man die Ombudsperson als außenstehend und eher neutral empfindet – was sie ja auch sein sollte. In unserem Fall spricht die Zahl der Anfragen, auch wenn sie seit den ersten stürmischen Monaten nach den vielen Veränderungen im Verlag nachgelassen hat, deutlich dafür, dass ein Anwalt für die Leserschaft durchaus gebraucht wird.

Diese Erkenntnis wächst auch in anderen Häusern. Jüngst hat, nachdem ich dort einen Vortrag über meine Arbeit gehalten habe, auch der Verband Deutscher Lokalzeitungen in einem Rundschreiben an die Verlage für diese Idee geworben. Kann sein, dass die Nürnberger Presse nicht der letzte Verlag ist, der per Stellenanzeige einen Leseranwalt sucht.

Nachrichten von Heinz

Über das Duzen in den Medien

„Und jetzt weitere Nachrichten von Heinz …“ – als Marietta Slomka das Duzen im Heute-Journal begann, hat mich das als Zuschauer etwas irritiert. Denn Heinz, der in alter Nachrichtensprechermanier nüchtern-korrekt die Ereignisse des Tages vortrug, duzte nicht zurück. Irgendwas passte da nicht.

Ein Kollege einer anderen Zeitung, mit dem ich als Redakteur oft gemeinsam Termine besuchte, war Mitglied der SPD. Wie selbstverständlich duzte er in Pressekonferenzen, in denen uns Sozialdemokraten gegenübersaßen, seine Genossen, selbst wenn sie ihn gar nicht kannten. Den Ministerpräsidenten und späteren Kanzler Schröder sprach er ungeniert als „Gerd“ an. Ich fand das befremdlich.

Dass Journalisten sich mit Politikern oder Wirtschaftsgrößen duzen, ist nicht ungewöhnlich. Gerade im Lokalen, wo man sich ständig über den Weg läuft, bleibt das gar nicht aus. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um, wenn man in offizieller Funktion miteinander zu tun hat, gar noch vor Publikum? Oder wenn man ein Interview führt? Einfach weiter duzen? Und wenn ja, wie verträgt sich das mit der Distanz, die Leser und Zuschauer von denen erwarten, die da vorne stehen und andere Leute kritisch befragen sollen?

Es gibt da kein Patentrezept; jeder Journalist muss für sich zusehen, wie er die richtige Balance zwischen unvermeidlicher Nähe und ausreichendem Abstand finden kann, um frei und unabhängig zu bleiben. Ich habe Landräten und Bürgermeistern, mit denen ich mich duzte, in der Zeitung böse Kommentare um die Ohren gehauen. Sie haben mich am nächsten Tag dafür ausgeschimpft und drei Tage später haben wir vielleicht auf einem Geburtstag zusammengestanden und Bier getrunken. So funktioniert das.

Auch in der Zeitung selbst wird hier und da geduzt. Neulich interviewte eine Kollegin einen Kollegen, da wäre es komisch gewesen, wenn die beiden in der Niederschrift ihres Gesprächs das „Sie“ verwendet hätten, wo sie doch wie alle in der Redaktion „Du“ zueinander sagen. Auch ein Interview, das eine kaum 20-jährige Volontärin mit einem Schulsprecher führt, kann in der Zeitung komisch wirken, wenn die beiden sich siezen. Es kommt also auf die Umstände an.

Heikler ist das mit einer Neigung, die nicht nur Journalisten gelegentlich verspüren, bestimmte Personengruppen zu duzen oder in Beiträgen über sie teilweise nur den Vornamen zu nennen. Bei Geschichten über jüngere Leute liest man so etwas oder bei Reportagen über Ältere, die vielleicht etwas hemdsärmelig oder alternativ daherkommen. Im Sport scheint es gang und gäbe zu sein. Bei Migranten passiert es eher als bei hier Geborenen, bei Frauen nach meinem Eindruck häufiger als bei Männern. Hier und da kann es das richtige Stilmittel sein, nur den Vornamen zu nennen, oft aber wirkt es gönnerhaft und von oben herab.

Eine Leserin machte mich auf einen Beitrag aufmerksam, in dem es um behinderte Menschen ging. Auf dem Bild dazu waren Leute mit und ohne Handicap zu sehen. Dabei waren die nicht behinderten alle mit Vor- und Nachnamen benannt, die Menschen mit Behinderung dagegen nur mit ihren Vornamen. Sie fand das diskriminierend.

Ich habe letztlich nicht aufklären können, wie es dazu gekommen ist, ob die Beteiligten das zum Beispiel so gewünscht haben. Aber wäre das so gewesen, hätte die Redaktion darauf besser hingewiesen oder die Namen alle weggelassen. Einen Unterschied auf die Weise zu machen, wie es passiert ist – die einen quasi zu duzen und die anderen nicht – das ist abwegig. Es sei denn, es handelt sich um Kinder, dann mag die Aufzählung der Vornamen in Ordnung sein.

Ich persönlich habe übrigens meine Schwierigkeiten mit dem routinemäßigen Weglassen von Vornamen. „Merkel sagte“, „Steinmeier kritisierte“, „Scholz reiste“. Das klingt bei Prominenten und Amtsträgern zwar ganz normal. In der Berichterstattung über Menschen aus dem Alltag aber wirkt es oft deplatziert, ja geradezu unhöflich. Warum nicht den ganzen Namen nennen? Oder, wie es angelsächsische und französische Medien tun, einfach die gesellschaftsübliche Form nehmen? „Monsieur Macron sagte“, „Mister Biden besuchte“, „Madame Le Pen äußerte die Ansicht“. Das ginge in deutschen Medien doch auch. Mich würde nicht stören, wenn es in der Zeitung hieße: „Frau Baerbock ist die beste Außenministerin, die wir je hatten.“ Auch wenn wir im privaten Gespräch ja eh nur noch von „Annalena“ reden.

Marietta sagt inzwischen übrigens: „Und jetzt weitere Nachrichten von Heinz Wolf!“

Darf der das?

Von möglichen Konflikten zwischen Berichterstattung und Standesrecht

Ein Arzt posiert auf einem Zeitungsfoto stolz neben dem OP-Roboter, mit dem er minimalinvasive Operationen durchführen wird. Ein Rechtsanwalt erläutert im Interview, warum er das Urteil in einem aufsehenerregenden Prozess für eine Fehlentscheidung hält. Ein Bauingenieur, der Pläne für ein Bauvorhaben vorstellt, lässt sich in einer Pressekonferenz unwidersprochen als Architekt bezeichnen, obwohl er nicht ins Architektenverzeichnis eingetragen ist. Wer als Journalist mit Freiberuflern zu tun hat, muss sich mit dem Standesrecht bestimmter Berufsgruppen auskennen.

Dr. Yasser Abdalla präsentiert an den Frieslandklinken Sanderbusch ein neues OP-Verfahren. Nach ärztlichem Standesrecht kein Problem (mehr). Archivbild: Helmut Burlager

Früher waren die Regeln sehr streng, Ärzte und Rechtsanwälte zum Beispiel durften nur unter eng gefassten Bedingungen so etwas wie Public Relations für sich betreiben. Manch älterem Redakteur und sicher auch manchem Leser ist das noch im Hinterkopf, wenn er einen Beitrag liest und sich fragt: „Darf der das?“

Eine Zeitungsserie über das Tierrecht schreiben zum Beispiel, wenn man eine darauf spezialisierte Anwältin ist. Oder eine regelmäßige Kolumne über Gesundheitsfragen verfassen, wie es gleich mehrere Ärzte aus Friesland für Zeitungen in der Region tun. Interessanter Lesestoff ist es allemal, so wie auch die Artikel über einen Anwalt, der Angeklagte in einem spektakulären Prozess über Vorgänge am Klinikum Wilhelmshaven vertritt. Und immer wieder wird in der Redaktion oder beim Ombudsmann nachgefragt: Steht nicht das Standesrecht dagegen?

Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Die Angehörigen bestimmter freier Berufe sind in Ärzte-, Zahnärzte-, Rechtsanwalts-, Notar-, Architekten- oder sonstigen Kammern organisiert. Diese regeln, was ihre Mitglieder tun dürfen und was nicht. Aber: Die Werberegeln und viele andere Vorschriften in den meisten Kammerberufen sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gelockert worden.

Nicht wenige Mediziner und Juristen haben den Wert der regelmäßigen Öffentlichkeitsarbeit für sich entdeckt – ob direkt mit Werbeanzeigen und auf Internetseiten oder indirekt durch Kolumnen und andere Beiträge, Interviews oder Leserbriefe. Was diejenigen ihrer Kolleginnen und Kollegen, die keine Zeit, keine Lust oder nicht die Mittel haben, auf dieser Klaviatur zu spielen, gelegentlich ärgert. „Der schon wieder“ oder „die schon wieder“ und: „Was hat der, was ich nicht habe?“

Nun haben nicht nur die Kammerberufe ihr Standesrecht (das nun allerdings keine engen Grenzen mehr zieht), sondern auch die Presse. Der Pressekodex ist in dieser Hinsicht ganz eindeutig. Weder darf Berichterstattung durch private und geschäftliche Interessen Dritter beeinflusst werden, noch darf sie in Schleichwerbung ausarten. Bei medizinischen Themen fordern die Leitlinien des Deutschen Presserats noch einmal besondere Zurückhaltung.

Gegen die Kolumne eines Arztes, der den Lesern regelmäßig Tipps für ein gesünderes Leben gibt oder über Volkskrankheiten aufklärt, ist allerdings rechtlich und moralisch nichts einzuwenden, genauso wenig gegen die Darstellung interessanter juristischer Themen durch Rechtsanwälte. Wenn es nicht in Werbung für den Verfasser ausartet, indem er sich, seine Praxis oder Kanzlei oder ganz bestimmte Dienstleistungen und Behandlungsmethoden anbietet oder favorisiert. Das wäre sowohl nach Standesrecht als auch nach dem Pressekodex unzulässig.

Eine kluge Redaktion wird darauf achten, dass sie nicht einzelne Vertreter eines Berufsstandes derart oft und plakativ zu Wort kommen lässt, dass Mitbewerber sich zu Recht benachteiligt fühlen. Der Maßstab, der vor einer Veröffentlichung angelegt werden sollte, lautet: Ist es für die Leser von Nutzen?

Ein Ratsherr im Shitstorm

Ein genervter Grundstücksbesitzer im Villenviertel hängt ein Schild auf: „Hier ist kein Hundeklo! Achtung Videoüberwachung!“ Damit nicht genug, tatsächlich installiert er auf seinem Grundstück eine Kamera, die in Richtung Straße blickt. Die Zeitung berichtet darüber, auch im Internet, und schon geht die Post ab. Munter wird auf Facebook diskutiert, ob der Anwohner das Recht dazu hat und ob man Verständnis für ihn aufbringen kann. Zwei Dutzend Kommentare laufen binnen weniger Stunden ein. Die Redaktion freut sich, sie hat den Nerv getroffen.

Viel kommentiert: Beitrag über ein Alltagsproblem. Bild: Lokal26

Eine Zeitung, deren Artikel keine Diskussionen auslösen – wer würde dafür Geld ausgeben? Journalismus lebt von Meinungen, vom Widerspruch. Leserbriefe sind das Salz in der Suppe, Kommentare unter Online-Artikeln auch. Eigentlich. Denn in der Praxis können Leserinnen und Leser nicht immer und überall „ihren Senf dazugeben“.

Warum das so ist und ob man es nicht anders machen müsste, darüber habe ich mit zwei Lesern diskutiert, die sich mit unterschiedlichen Auffassungen an mich gewandt haben. Zuerst schrieb mir jemand, er wundere sich, dass die Zeitung sich gegen die Veröffentlichung von Lesermeinungen unter online veröffentlichten Artikeln wehre. Warum gebe es unter den Beiträgen auf „Lokal26“ keine Kommentarfunktion?  

Beim anderen ging es in die entgegengesetzte Richtung. Vorausgegangen war ein auf Facebook verlinkter Zeitungsartikel über die Kritik des Wilhelmshavener Ratsvorsitzenden am Sozialverband Deutschland, nachdem dieser eine Ratsentscheidung zu den Taxigebühren beanstandet hatte. Der Beitrag hatte einen „Shitstorm“ zur Folge, was den Leser auf den Plan rief. Die Zeitung „sollte sich fragen“, schrieb er, „ob es fair und angemessen ist, kommunal-öffentliche Personen in den freien Social Media einem teilweise pöbelnden Diskutantenstadl vorzuführen.“

In der Tat war es in den Kommentaren zu dem Beitrag zu massiven, unflätigen Angriffen auf den Ratsvorsitzenden gekommen. Die Redaktion entschied sich, moderierend einzugreifen und, als dies mit den personellen Ressourcen nicht mehr möglich war, alle Kommentare zu löschen.

Das Mindeste, das nach Meinung des Lesers von der Zeitung erwartet werden dürfe, sei, „dass sie öffentliche Kommentare anonymer Verfasser unterbindet; bei einem Leserbrief werden auch Name und volle Adresse angegeben und überprüft.“ Hiermit trifft er das Problem. Während sich der Eingang von Leserbriefen in einer Redaktion problemlos überblicken und die Veröffentlichung sich steuern lässt, ist das bei Online-Kommentaren nicht unbedingt der Fall.

Bei der Nachrichtenplattform „Lokal26“ hat sich der Verlag schon einige Monate nach dessen Einführung entschieden, die Kommentarfunktion abzuschalten. Und zwar, weil wahlweise die ungeprüfte Freigabe von Kommentaren zu den befürchteten „Shitstorms“ geführt oder aber die Prüfung jedes Kommentars vor der Veröffentlichung zu einem unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand geführt hätte.

Auf Facebook ist die Kommentarfunktion nicht generell zu unterbinden und es gibt keine Klarnamen-Pflicht. Das erfordert von der Redaktion hohen Moderationsbedarf, sie muss den Eingang von Kommentaren im Blick behalten und Debatten, die aus dem Ruder laufen, einhegen oder gar Beiträge löschen und Nutzer sperren.

Menschen einem „Diskutantenstadl“ vorzuführen, ist selbstverständlich nicht die Absicht der Redaktion. Einen wichtigen Beitrag über ein politisches Thema nur deshalb nicht zu veröffentlichen, weil es einen „Shitstorm“ geben könnte, kann aber auch nicht die Lösung sein. Politiker, die sich in den Meinungswettstreit stürzen, müssen Widerspruch aushalten können, zumindest in Grenzen. Und die sollte die Redaktion setzen.

Ein Forum, kein Pranger

Über die Frage, was in Leserbriefen erlaubt ist

Der kritische Blick auf Missstände gehört zu den Aufgaben der freien Presse. Fehlentwicklungen zu benennen, ist im demokratischen Staat nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht von Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen. Bevor eine Redaktion etwas anprangert, muss sie den Sachverhalt sorgfältig ermitteln. Stimmen die Fakten? Sind alle Argumente bekannt? Hat man alle Seiten gehört? Je härter ein Vorwurf, desto wichtiger die gründliche Recherche.

Aber gilt das auch für Leserbriefe? Darüber diskutierte ich vor einigen Wochen mit einer Leserin. Sie hatte einen aus meiner Sicht berechtigten Vorwurf erhoben. In einem Leserbrief war eine vereinsinterne Angelegenheit in die Öffentlichkeit gebracht worden. Die Verfasserin hatte einen nicht ganz glücklich abgelaufenen Disput während einer Übungsstunde geschildert und sich über den Übungsleiter beschwert. Der hatte keine Gelegenheit bekommen, seine Version des Vorfalls zu erzählen. Der Abdruck des Leserbriefs führte zu einem Zerwürfnis innerhalb des Vereins. Aus meiner Sicht, und das räumte auch die Redaktionsleitung ein, wäre der Leserbrief so besser nicht veröffentlicht worden. Man hätte die Sache stattdessen vollständig recherchieren und zu einem redaktionellen Beitrag machen können. Das teilte ich der Beschwerdeführerin mit.

Aber die Diskussion mit der freundlichen Dame setzte sich fort, als sie weitere Beispiele dafür nannte, dass im Leserforum der Zeitung Menschen kritisiert worden seien, ohne dass eine Gegenrecherche durch die Redaktion erfolgt sei. Die Leserbriefecke aber, so argumentiert sie, dürfe nicht zum „Pranger“ werden.

In einem von drei Fällen, die sie anführte, ging es um den Umgang einer Notdienst-Zahnarztpraxis mit einem älteren Patienten, in einem anderen um die Klage eines Freibadbesuchers über das bürokratische Verfahren, mit dem an der Kasse Jahreskarten ausgegeben werden. In beiden Fällen waren allerdings weder identifizierbare Menschen persönlich kritisiert worden noch ergaben sich Zweifel, ob die von den Leserbriefschreibern erzählten Geschichten wohl so geschehen sein könnten. Im Fall des Freibad-Leserbriefes war die Kritik zudem in einem spöttisch-satirischen Ton geäußert worden. Und Satire ist selbstverständlich erlaubt, auch in Leserbriefen.

Kurzum: Ja, eine Redaktion trägt Verantwortung für das, was in Leserbriefen steht, und sie muss sicherstellen, dass darin keine Unwahrheiten verbreitet und die Rechte Dritter nicht verletzt werden. Aber nein, sie muss die Leserbriefspalten nicht grundsätzlich von kritischen, manchmal auch sarkastischen und überdeutlichen Vorwürfen freihalten. Denn Pressefreiheit gilt im Rahmen der geltenden Gesetze auch für Leserbriefseiten.

Ein „Pranger“, da hat die Beschwerdeführerin Recht, sollte die Leserbriefecke der Zeitung nicht werden. Aber die Rubrik ist schon dafür da, dass Menschen, die sonst nicht so leicht Gehör finden, sich ans Publikum wenden und ihrem Herzen Luft machen können.

Dass dabei die Regeln eingehalten werden, dafür hat die Redaktion zu sorgen.

Staatsknete für die Zeitungen?

Der eine Satz klingt harmlos. Der andere auch, aber nur auf den ersten Blick. „Freie und unabhängige Medien sind in einer Demokratie unverzichtbar“, lautet der erste. Der zweite: „Wir wollen die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleisten und prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind.“ So steht es im Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und FDP 2021 unterschrieben haben.

Bedrucktes Papier, ist das noch die Zukunft der Zeitungen?
Foto: Helmut Burlager

Warum auch nicht, es wird ja alles Mögliche gefördert, weshalb nicht die Zeitungen? Weil die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse sich nicht mit einer Subventionierung durch den Staat verträgt, sagen Kritiker. Sie fürchten Einflussnahme der Regierenden auf die Medien, nach dem Motto „Wer zahlt, bestimmt die Musik“.

Dass es überhaupt zu der Diskussion gekommen ist, liegt daran, dass ein erfolgreiches Geschäftsmodell in Schwierigkeiten geraten ist. Zeitungsverleger, sagten Spötter früher, hätten die Lizenz zum Gelddrucken. Abo-Erlöse sprudelten so kräftig wie die Einnahmen aus Anzeigen. Dann kam das Internet. Leser entdeckten, dass es Nachrichten gratis gibt, und die Werbetreibenden merkten, dass sie im Netz ihr Publikum finden. Beides ging zu Lasten der Presse, die eine Weile brauchte, die neuen Medien selbst als Geschäftsfeld zu entdecken.

Die gedruckte Zeitung leidet seither, und der Staat ist nicht schuldlos daran. Öffentlich-rechtliche Medien liefern im Internet umsonst, wofür Zeitungsleser zahlen müssen. Mit eigenen Portalen und offensiver PR zerstören Kommunen und Behörden das frühere Nachrichtenmonopol der Lokalzeitungen. Mit immer mehr Bürokratie gängelt der Gesetzgeber die Medienhäuser.

Die Einführung des Mindestlohns brachte das System der Zeitungszustellung durch Tausende von Minijobbern ins Wanken. Der Ruf der Verleger nach Förderung war vor allem ein Hilferuf um Unterstützung bei den Zustellkosten. Die Verteilung gedruckter Zeitungen sei nicht mehr wirtschaftlich darzustellen, es sei zu teuer geworden, jedes abgelegene Haus täglich mit dem Blatt zu versorgen. Der Staat möge, was er da angerichtet habe, bitte wieder ausbügeln.

Dass im Koalitionsvertrag nur ein vorsichtiger Satz zu dem Thema steht, ist kein Zufall.  Denn die vorherige Bundesregierung war kurz vor ihrem Ende mit dem Versuch einer Presseförderung  gescheitert. Es war nicht nur Kritik laut geworden, dass „Staatknete“ die Unabhängigkeit der Presse gefährden könnte. Gewarnt wurde auch vor Wettbewerbsverzerrung, wenn gedruckte Periodika gefördert würden und digital verbreitete Medien leer ausgingen. Den Zwiespalt erkennend, ersann das Bundeswirtschaftsministerium eine 220-Millionen-Euro-Förderung für die „digitale Transformation“ der Zeitungsverlage. Daraufhin drohten Onlinemedien mit Verfassungsklage. Der Regierung kamen schließlich selbst Bedenken, sie legte das Thema auf Eis.

Dabei ist Presseförderung nichts Neues. In den USA wurden schon im 18. Jahrhundert die Portokosten für den Zeitungsversand aufs Minimum gesetzt, auf einen symbolischen Cent. Unterschiedliche Formen direkter und indirekter Presseförderung kennen Schweden, Österreich, Finnland, Frankreich, Norwegen, Spanien. Besonders großzügig ist die Schweiz, sie zahlt kleineren Verlagen bis zu 80 Millionen Franken jährlich. Auch das ist nicht unumstritten. Im Februar kam es zu einer Volksabstimmung über ein geplantes „Medienpaket“. 151 Millionen Franken (143 Mio. Euro) sollten unter anderem für die Zeitungszustellung fließen, auch große Verlage sollten nun profitieren.

Die Debatte darüber wurde für schweizerische Verhältnisse außerordentlich heftig und polemisch geführt. Will der Staat wirklich nur die Medienvielfalt sichern? Oder die eh schon willfährige Presse durch Zuwendungen noch mehr ans Gängelband nehmen? Oder reiche Verleger noch reicher machen? Am Ende lehnten die Schweizer das Medienpaket ab.

Presseförderung ist vermintes Gelände. Es überrascht nicht, dass die Ampelkoalition es nur zögernd betritt. Unterdessen geben in Deutschland die ersten Zeitungsverlage auf.