Leseranwälte gesucht

Wie sich die Idee der Ombudsleute weiterverbreitet

Die Nürnberger Nachrichten suchen einen Leseranwalt. Warum ich Ihnen das mitteile? Weil die Stellenanzeige, die der Verlag Nürnberger Presse jüngst veröffentlicht hat, einen aktuellen Trend widerspiegelt. In einer Zeit, in der Leserinnen und Leser „ihrer“ Zeitung zunehmend kritische Fragen stellen und sich mit plötzlichen Veränderungen nicht einfach abfinden wollen, braucht es Anlaufstellen für Unzufriedene. Und so stößt ein Modell, das vor etwa 50 Jahren in den USA ersonnen und in Deutschland bisher von schätzungsweise 20 Verlagen eingeführt wurde, zunehmend auf Interesse. Das Modell des Ombudsmanns.

Die Nürnberger sind nicht die einzigen, die in dieser Zeit eine solche Stelle schaffen. Im Brune-Mettcker-Verlag gibt es einen Schiedsmann oder Leseranwalt oder wie man den Begriff Ombudsmann sonst noch übersetzen mag, seit einem Dreivierteljahr. Aus der Leserschaft der Wilhelmshavener Zeitung und des Jeverschen Wochenblatts sind seither rund 130 Anfragen und Hinweise eingegangen, alle wurden gewissenhaft bearbeitet. Nicht in allen Fällen, aber oft konnten Fragen beantwortet, Entscheidungen von Verlag und Redaktion erklärt, berechtigte Kritik an die richtigen Adressaten weitergeleitet, Missverständnisse ausgeräumt, Frust abgebaut, Einsichten geweckt und Veränderungen bei Vorgehensweisen und Abläufen erreicht werden. 

Vor einigen Wochen hat die Universität Leipzig die Ergebnisse einer Befragung in fünf deutschen Zeitungsredaktionen veröffentlicht. Daran haben auch Redakteure unseres Hauses teilgenommen. In dem Forschungsprojekt ging es darum, herauszufinden, ob und wie die Arbeit von Ombudsleuten in die eigenen Häuser hineinwirkt. Es wäre übertrieben zu sagen, dass die Einsetzung eines Leseranwalts von allen Mitgliedern einer Redaktion begeistert aufgenommen würde, aber immerhin haben 57 Prozent aller Befragten angegeben, sie hätten ihr Verhalten oder ihre Arbeit schon einmal aufgrund eines Artikels oder einer Reaktion der Ombudsperson überdacht oder geändert. Und 85 Prozent der Teilnehmer meinten, jede Redaktion sollte eine Ombudsperson haben.

Mein persönlicher Eindruck ist: Für manche Leser ist die Hemmschwelle, sich mit einer Frage oder einem kritischen Hinweis an die Zeitung zu wenden, gegenüber dem Ombudsmann geringer als gegenüber einem Mitglied der Redaktion. Sei es, weil man „von denen“ ja in Zukunft vielleicht noch etwas will oder weil man glaubt, sowieso keine Einsicht oder keine Änderung zu erreichen. Sei es, weil man die Ombudsperson als außenstehend und eher neutral empfindet – was sie ja auch sein sollte. In unserem Fall spricht die Zahl der Anfragen, auch wenn sie seit den ersten stürmischen Monaten nach den vielen Veränderungen im Verlag nachgelassen hat, deutlich dafür, dass ein Anwalt für die Leserschaft durchaus gebraucht wird.

Diese Erkenntnis wächst auch in anderen Häusern. Jüngst hat, nachdem ich dort einen Vortrag über meine Arbeit gehalten habe, auch der Verband Deutscher Lokalzeitungen in einem Rundschreiben an die Verlage für diese Idee geworben. Kann sein, dass die Nürnberger Presse nicht der letzte Verlag ist, der per Stellenanzeige einen Leseranwalt sucht.

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