Die Medien sind schuld

Von der Kritik eines Polizeichefs und unzulässigen Verallgemeinerungen

Würde ich in dieser Kolumne behaupten, die Polizei sei gewalttätig, wäre mir ein böser Brief des Polizeichefs von Wilhelmshaven gewiss. Und er hätte Recht. Vielleicht gibt es hier oder da mal einen übertrieben robusten Einsatz. Aber die ganze Organisation als gewalttätig bezeichnen, weil einer übers Ziel hinausschießt? In bestimmten Situationen darf und muss ein Polizist nun mal Gewalt anwenden, um Gefahr von sich und anderen abzuwenden.

Jüngst hat mich ein Beitrag irritiert, dessen Überschrift so lautete: „Polizeidirektor geht mit Medien hart ins Gericht“. Darin wird der Leiter der Polizeiinspektion Friesland/Wilhelmshaven, Heiko von Deetzen, in einem Passus über die Medien so zitiert: „Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen.“ Er habe „vor allem den sozialen Medien“ vorgeworfen, die „Sensationslust der Bürger“ befriedigen zu wollen. Als Beispiel wurde der „Impfskandal“ von Roffhausen genannt. Ohne die enorme mediale Aufmerksamkeit, so von Deetzen, hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen eine Krankenschwester, die Spritzen mit Kochsalzlösung statt Impfstoff füllte, wahrscheinlich eingestellt.

Nun war ich bei der Veranstaltung, aus der berichtet wurde, nicht dabei, kenne die Aussagen des Polizeichefs nur aus der Zeitung und weiß nichts über die Stimmung in der Runde. Manchmal sagt man flapsig was daher und geht nicht davon aus, dass es wörtlich zitiert wird. Manchmal wird man missverstanden oder verkürzt wiedergegeben, manchmal vereinfacht man selbst Dinge um der besseren Verständlichkeit willen. Ich halte mich deshalb mit Kritik zurück. Aber ein paar Hinweise seien erlaubt.

Zunächst wäre zu klären, was „die Medien“ eigentlich sind. Nach wissenschaftlicher Definition ist zwischen den „Massenmedien“ einerseits (Presse, Rundfunk, Internetportale) und „sozialen Medien“ (Facebook, Instagram, Whatsapp & Co.) zu unterscheiden. Massenmedien erstellen und transportieren Nachrichten und Meinungen (sind also Sender) und wenden sich an ein Publikum (die Empfänger). Soziale Medien sind dagegen technische Plattformen, die dem Informationsaustausch unzähliger Individuen dienen und auf denen alle Nutzer Sender und Empfänger zugleich sein können. Und wo jeder schreiben kann, was er will.

Es ist ein Unterschied, ob klassische Medien über einen Vorgang wie den mutwillig herbeigeführten Austausch von Impfstoff gegen Kochsalzlösung in einem Impfzentrum berichten und sich mit den Ursachen und Folgen auf der Basis sorgfältiger Recherche beschäftigen, oder ob sich auf Social-Media-Kanälen seriöse Nachrichten mit Halbwissen, Lüge, Polemik und Hass vermengen.

Natürlich dürfen auch Medien kritisiert werden. Ob man den Vorgang in Roffhausen zum „Impfskandal“ hochjazzen musste, wo es doch nur um die Fehlleistung einer einzelnen Person ging, darüber kann man streiten. Auch über die Frage, ob das Ausmaß der Berichterstattung dem Ereignis angemessen war. Aber die Medien in Mithaftung zu nehmen für alle Häme und Hetze, die im Netz über die Vorgänge verbreitet wurden, wäre so ungerecht, als würde man die Polizei verantwortlich machen für das Fehlverhalten eines Türstehers, nur weil der auch Uniform trägt.

Was pauschale Kritik an „den Medien“ gern unterschlägt, ist dies: Auch innerhalb der klassischen Medien gibt es „sone und solche“. Die einen, die sorgfältig recherchieren, einordnen, abwägen, alle Seiten anhören, rechtliche und ethische Aspekte im Hinterkopf haben, bevor sie etwas veröffentlichen. Die anderen, die um billiger Effekte und größtmöglicher Aufmerksamkeit willen verkürzen, zuspitzen, polarisieren oder gar lügen. Und es gibt eine Menge dazwischen. Alle in einen Topf zu werfen, ist ungerecht. Bei Journalisten wie bei Polizisten.

Nachrichten von Heinz

Über das Duzen in den Medien

„Und jetzt weitere Nachrichten von Heinz …“ – als Marietta Slomka das Duzen im Heute-Journal begann, hat mich das als Zuschauer etwas irritiert. Denn Heinz, der in alter Nachrichtensprechermanier nüchtern-korrekt die Ereignisse des Tages vortrug, duzte nicht zurück. Irgendwas passte da nicht.

Ein Kollege einer anderen Zeitung, mit dem ich als Redakteur oft gemeinsam Termine besuchte, war Mitglied der SPD. Wie selbstverständlich duzte er in Pressekonferenzen, in denen uns Sozialdemokraten gegenübersaßen, seine Genossen, selbst wenn sie ihn gar nicht kannten. Den Ministerpräsidenten und späteren Kanzler Schröder sprach er ungeniert als „Gerd“ an. Ich fand das befremdlich.

Dass Journalisten sich mit Politikern oder Wirtschaftsgrößen duzen, ist nicht ungewöhnlich. Gerade im Lokalen, wo man sich ständig über den Weg läuft, bleibt das gar nicht aus. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um, wenn man in offizieller Funktion miteinander zu tun hat, gar noch vor Publikum? Oder wenn man ein Interview führt? Einfach weiter duzen? Und wenn ja, wie verträgt sich das mit der Distanz, die Leser und Zuschauer von denen erwarten, die da vorne stehen und andere Leute kritisch befragen sollen?

Es gibt da kein Patentrezept; jeder Journalist muss für sich zusehen, wie er die richtige Balance zwischen unvermeidlicher Nähe und ausreichendem Abstand finden kann, um frei und unabhängig zu bleiben. Ich habe Landräten und Bürgermeistern, mit denen ich mich duzte, in der Zeitung böse Kommentare um die Ohren gehauen. Sie haben mich am nächsten Tag dafür ausgeschimpft und drei Tage später haben wir vielleicht auf einem Geburtstag zusammengestanden und Bier getrunken. So funktioniert das.

Auch in der Zeitung selbst wird hier und da geduzt. Neulich interviewte eine Kollegin einen Kollegen, da wäre es komisch gewesen, wenn die beiden in der Niederschrift ihres Gesprächs das „Sie“ verwendet hätten, wo sie doch wie alle in der Redaktion „Du“ zueinander sagen. Auch ein Interview, das eine kaum 20-jährige Volontärin mit einem Schulsprecher führt, kann in der Zeitung komisch wirken, wenn die beiden sich siezen. Es kommt also auf die Umstände an.

Heikler ist das mit einer Neigung, die nicht nur Journalisten gelegentlich verspüren, bestimmte Personengruppen zu duzen oder in Beiträgen über sie teilweise nur den Vornamen zu nennen. Bei Geschichten über jüngere Leute liest man so etwas oder bei Reportagen über Ältere, die vielleicht etwas hemdsärmelig oder alternativ daherkommen. Im Sport scheint es gang und gäbe zu sein. Bei Migranten passiert es eher als bei hier Geborenen, bei Frauen nach meinem Eindruck häufiger als bei Männern. Hier und da kann es das richtige Stilmittel sein, nur den Vornamen zu nennen, oft aber wirkt es gönnerhaft und von oben herab.

Eine Leserin machte mich auf einen Beitrag aufmerksam, in dem es um behinderte Menschen ging. Auf dem Bild dazu waren Leute mit und ohne Handicap zu sehen. Dabei waren die nicht behinderten alle mit Vor- und Nachnamen benannt, die Menschen mit Behinderung dagegen nur mit ihren Vornamen. Sie fand das diskriminierend.

Ich habe letztlich nicht aufklären können, wie es dazu gekommen ist, ob die Beteiligten das zum Beispiel so gewünscht haben. Aber wäre das so gewesen, hätte die Redaktion darauf besser hingewiesen oder die Namen alle weggelassen. Einen Unterschied auf die Weise zu machen, wie es passiert ist – die einen quasi zu duzen und die anderen nicht – das ist abwegig. Es sei denn, es handelt sich um Kinder, dann mag die Aufzählung der Vornamen in Ordnung sein.

Ich persönlich habe übrigens meine Schwierigkeiten mit dem routinemäßigen Weglassen von Vornamen. „Merkel sagte“, „Steinmeier kritisierte“, „Scholz reiste“. Das klingt bei Prominenten und Amtsträgern zwar ganz normal. In der Berichterstattung über Menschen aus dem Alltag aber wirkt es oft deplatziert, ja geradezu unhöflich. Warum nicht den ganzen Namen nennen? Oder, wie es angelsächsische und französische Medien tun, einfach die gesellschaftsübliche Form nehmen? „Monsieur Macron sagte“, „Mister Biden besuchte“, „Madame Le Pen äußerte die Ansicht“. Das ginge in deutschen Medien doch auch. Mich würde nicht stören, wenn es in der Zeitung hieße: „Frau Baerbock ist die beste Außenministerin, die wir je hatten.“ Auch wenn wir im privaten Gespräch ja eh nur noch von „Annalena“ reden.

Marietta sagt inzwischen übrigens: „Und jetzt weitere Nachrichten von Heinz Wolf!“

Ein Ratsherr im Shitstorm

Ein genervter Grundstücksbesitzer im Villenviertel hängt ein Schild auf: „Hier ist kein Hundeklo! Achtung Videoüberwachung!“ Damit nicht genug, tatsächlich installiert er auf seinem Grundstück eine Kamera, die in Richtung Straße blickt. Die Zeitung berichtet darüber, auch im Internet, und schon geht die Post ab. Munter wird auf Facebook diskutiert, ob der Anwohner das Recht dazu hat und ob man Verständnis für ihn aufbringen kann. Zwei Dutzend Kommentare laufen binnen weniger Stunden ein. Die Redaktion freut sich, sie hat den Nerv getroffen.

Viel kommentiert: Beitrag über ein Alltagsproblem. Bild: Lokal26

Eine Zeitung, deren Artikel keine Diskussionen auslösen – wer würde dafür Geld ausgeben? Journalismus lebt von Meinungen, vom Widerspruch. Leserbriefe sind das Salz in der Suppe, Kommentare unter Online-Artikeln auch. Eigentlich. Denn in der Praxis können Leserinnen und Leser nicht immer und überall „ihren Senf dazugeben“.

Warum das so ist und ob man es nicht anders machen müsste, darüber habe ich mit zwei Lesern diskutiert, die sich mit unterschiedlichen Auffassungen an mich gewandt haben. Zuerst schrieb mir jemand, er wundere sich, dass die Zeitung sich gegen die Veröffentlichung von Lesermeinungen unter online veröffentlichten Artikeln wehre. Warum gebe es unter den Beiträgen auf „Lokal26“ keine Kommentarfunktion?  

Beim anderen ging es in die entgegengesetzte Richtung. Vorausgegangen war ein auf Facebook verlinkter Zeitungsartikel über die Kritik des Wilhelmshavener Ratsvorsitzenden am Sozialverband Deutschland, nachdem dieser eine Ratsentscheidung zu den Taxigebühren beanstandet hatte. Der Beitrag hatte einen „Shitstorm“ zur Folge, was den Leser auf den Plan rief. Die Zeitung „sollte sich fragen“, schrieb er, „ob es fair und angemessen ist, kommunal-öffentliche Personen in den freien Social Media einem teilweise pöbelnden Diskutantenstadl vorzuführen.“

In der Tat war es in den Kommentaren zu dem Beitrag zu massiven, unflätigen Angriffen auf den Ratsvorsitzenden gekommen. Die Redaktion entschied sich, moderierend einzugreifen und, als dies mit den personellen Ressourcen nicht mehr möglich war, alle Kommentare zu löschen.

Das Mindeste, das nach Meinung des Lesers von der Zeitung erwartet werden dürfe, sei, „dass sie öffentliche Kommentare anonymer Verfasser unterbindet; bei einem Leserbrief werden auch Name und volle Adresse angegeben und überprüft.“ Hiermit trifft er das Problem. Während sich der Eingang von Leserbriefen in einer Redaktion problemlos überblicken und die Veröffentlichung sich steuern lässt, ist das bei Online-Kommentaren nicht unbedingt der Fall.

Bei der Nachrichtenplattform „Lokal26“ hat sich der Verlag schon einige Monate nach dessen Einführung entschieden, die Kommentarfunktion abzuschalten. Und zwar, weil wahlweise die ungeprüfte Freigabe von Kommentaren zu den befürchteten „Shitstorms“ geführt oder aber die Prüfung jedes Kommentars vor der Veröffentlichung zu einem unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand geführt hätte.

Auf Facebook ist die Kommentarfunktion nicht generell zu unterbinden und es gibt keine Klarnamen-Pflicht. Das erfordert von der Redaktion hohen Moderationsbedarf, sie muss den Eingang von Kommentaren im Blick behalten und Debatten, die aus dem Ruder laufen, einhegen oder gar Beiträge löschen und Nutzer sperren.

Menschen einem „Diskutantenstadl“ vorzuführen, ist selbstverständlich nicht die Absicht der Redaktion. Einen wichtigen Beitrag über ein politisches Thema nur deshalb nicht zu veröffentlichen, weil es einen „Shitstorm“ geben könnte, kann aber auch nicht die Lösung sein. Politiker, die sich in den Meinungswettstreit stürzen, müssen Widerspruch aushalten können, zumindest in Grenzen. Und die sollte die Redaktion setzen.

Flagge zeigen für die Ukraine?

Krieg, das betrifft immer nur andere. Mit dieser Haltung haben wir uns seit der Wirtschaftswunderzeit gemütlich eingerichtet. Gewiss, im kalten Krieg zwischen Ostblock und Nato gab es Krisen, in denen den Menschen mulmig wurde. Und mit dem Jugoslawien-Konflikt in den Neunzigern kam uns der Krieg schon mal ziemlich nahe. Aber wer glaubte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch ernsthaft an bewaffnete Auseinandersetzungen, die uns selbst berühren würden?

Titelkopf der Wilhelmshavener Zeitung vom 19. März 2022.

Und plötzlich ist Krieg. Mitten in Europa. Mit den Nachrichten aus der Ukraine, mit den Videos, den Bildern, den Flüchtlingen und mit den wirtschaftlichen Auswirkungen kam die Angst nach Deutschland, dass wir bald mittendrin stecken könnten. Zeitungen, die seit mehr als 70 Jahren über Krieg nur auf im Auslandsressort berichtet haben, müssen sich nun sogar in ihren Lokalredaktionen mit der Frage auseinandersetzen: Wie gehen wir damit um?

Ein blau-gelber Zeitungstitel ist schnell gemacht, eine Spendenaktion leicht organisiert, mit sowas hat man ja Erfahrung. Berichte über die vielen Hilfsaktionen und ans Herz gehende Geschichten über geflüchtete Menschen sind jeder Redaktion, die seit zwei Jahren ihre Themen hauptsächlich aus der Corona-Lage generierte, unbedingt willkommen. Und die Leser lechzen nach Informationen.

„Kriegszeiten sind Nachrichtenzeiten“, sagte die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Margreth Lünenborg von der Freien Universität Berlin kürzlich in einer Diskussion mit den Mitgliedern des Verbandes der Deutschen Medienombudsleute (VDMO). Doch über den Krieg zu berichten, erfordert nach ihrer Einschätzung ein besonderes Verantwortungsbewusstsein. Dem würden die Medien überwiegend gerecht, es gebe aber auch Defizite.

So sehen Lünenborg und ihre Kolleginnen Dr. Anna Litvinenko und Prof. Dr. Carola Richter, die die bisherige Berichterstattung analysiert haben, die Gefahr, dass ein antirussisches Feindbild die Veröffentlichungen prägt. Das könne dazu führen, dass pauschal alle Russinnen und Russen verunglimpft würden. Individuen dürften aber nicht für Staatshandlungen verantwortlich gemacht werden.

Titelkopf des Jeverschen Wochenblatts vom 19. März 2022.

Journalisten sollten weder Helden stilisieren noch Scharfmachern eine Bühne geben. Kriegsrhetorik und Waffenjournalismus sollten sie unterlassen, stattdessen verständigungsorientierte Stimmen stärken und die negativen Auswirkungen des Krieges für die Zivilgesellschaft in der Ukraine, aber auch in Russland hervorheben. Sie sollten zudem die politischen und militärischen Maßnahmen in Deutschland kritisch einordnen. Lünenborg rät zudem, nationalistische Parteinahme zu vermeiden und die am Krieg beteiligten Nationen nicht von vornherein nach „gut“ und „böse“ einzuteilen. Journalisten sollten sich nicht pauschal „für die Ukraine“ einsetzen und nicht „Flagge zeigen“.

Womit wir wieder beim blau-gelben Zeitungskopf wären. War das schon Parteinahme? Oder nur ein legitimes Zeichen der Solidarität mit einer Nation, die brutal angegriffen wird?

Dass die Medien auf Hilfsangebote für die Ukraine, auf Spendenaktionen und andere Unterstützung für die Opfer aufmerksam machen sollten, finden auch Prof. Margreth Lünenborg und ihre Kolleginnen: „Solche Informationen“, sagen sie, „können überlebenswichtig sein.“

Hier die Thesen des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin: Für einen verantwortungsvollen Journalismus im Krieg

Zum Weiterlesen: Kriegsbilder erfordern sorgfältige Abwägung Deutscher Presserat

Und von Marlis Prinzing: Bilder, die wir sehen müssen

Die nackte Frau am schwarzen Brett

Von Medienethik und der Arbeit des Deutschen Presserats

„Die Presse ist frei.“ Ganz schlicht und einfach ist das im ersten Satz des Niedersächsischen Pressegesetzes formuliert. Doch jede Freiheit hat ihre Grenzen, auch Journalisten müssen sich an die die Gesetze halten. Sie genießen nur wenige Sonderrechte wie den Auskunftsanspruch gegenüber Behörden oder das Redaktionsgeheimnis, das selbst ein Gericht nicht aushebeln kann.

Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Aber sie hat auch ihre Grenzen. Foto: Helmut Burlager

Aber wie im  richtigen Leben gilt: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Die deutsche Presse hat sich vor fast fünfzig Jahren ein „Grundgesetz“ gegeben, die Publizistischen Grundsätze, auch Pressekodex genannt. Seither können Leserinnen und Leser sich beim Deutschen Presserat beschweren, wenn sie einen Verstoß gegen die ethischen Grundsätze vermuten, und ein Beschwerdeausschuss urteilt darüber. Hat eine Redaktion die Regeln gebrochen, kann das Gremium je nach Schwere des Verstoßes Hinweise, Missbilligungen oder Rügen aussprechen.

Ich kenne nur wenige Redaktionen, die noch nie mit dem Presserat zu tun hatten, und noch weniger Redakteure, denen eine Sanktion durch den Presserat egal wäre. Die Bild-Zeitung ist dafür bekannt, dass sie auf Rügen nicht reagiert und sie nicht abdruckt. Die meisten betroffenen Blätter aber tun das, auch wenn die Spruchpraxis des Presserats nicht jedem gefällt. Denn nicht jeder Journalist teilt alle Auffassungen, die seit der ersten Verabschiedung im Jahr 1973 in die Grundsätze, Leitsätze und Richtlinien eingeflossen sind.

Die Redaktionen des Brune-Mettcker-Verlages orientieren sich am Pressekodex und halten sich an rechtliche Bestimmungen. Und doch haben sie es in der Vergangenheit hier und da mit dem Presserat oder auch mit Anwälten zu tun bekommen. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem wir das Bild einer nackten Frau – mit deren Einverständnis aufgenommen und bewusst unscharf gehalten – veröffentlicht haben und sie anschließend Schmerzensgeld verlangte, weil Arbeitskollegen sie erkannt und das Foto vergrößert ans schwarze Brett gehängt hatten. Der Fall wurde niedergeschlagen, so wie der Presserat auch die Beschwerde eines Lesers abwies, dessen Leserbrief nicht veröffentlicht, aber redaktionell ausgewertet und dazu Dritten zugänglich gemacht worden war. Er beklagte eine Verletzung des Redaktionsgeheimnisses – aber sein Leserbrief war in einer anderen Zeitung schon erschienen und damit längst nicht mehr geheim.

Vor nicht allzu langer Zeit ist eines unserer Blätter gerügt worden, weil eine bezahlte Anzeige im redaktionellen Teil nicht als solche kenntlich gemacht worden war. Das ist unangenehm, war auch nicht gewollt, aber die Zeitung steht damit nicht alleine da. Der Presserat hat soeben seinen Jahresbericht vorgelegt. 2021 sind nicht weniger als 2556 Beschwerden eingegangen. In 60 Fällen hat der Presserat daraufhin eine Rüge erteilt, davon betrafen 21 das Thema Schleichwerbung, also mehr als ein Drittel.

Regelwerk für Journalisten. Der Pressekodex des Deutschen Presserates. Foto: Helmut Burlager

Neben den Rügen wurden 83 Missbilligungen und 97 Hinweise ausgesprochen. Bei 39 begründeten Beschwerden verhängte der Presserat keine Sanktion. Jede dritte Rüge betraf den Persönlichkeitsschutz, weil eine Redaktion Fotos, Namen oder sensible Informationen von Betroffenen ohne deren Zustimmung veröffentlicht hatte. Ein Thema, das auch in unseren Redaktionen in jedem Einzelfall wieder neu zu diskutieren ist.

Die gute Nachricht in der Jahresbilanz ist, dass 2277 der 2556 Beschwerden als unbegründet abgewiesen wurden. Bei aller Freiheit sind sich die Medien – das darf man aus der geringen Zahl der Rügen, Missbilligungen und Hinweise herauslesen – ihrer ethischen Verantwortung sehr bewusst.

@ www.presserat.de

Wenn Zeitungen das Papier ausgeht

Eine Samstagausgabe mit acht gedruckten Seiten weniger. Noch hatten die Leser der Wilhelmshavener Zeitung, des Jeverschen Wochenblatts und der anderen in Oldenburg gedruckten Blätter gar keine Möglichkeit, sich darüber zu beschweren, denn das war heute eine Premiere. Seit Monaten sitzt allen Zeitungsdruckern das Thema Papierknappheit schwer im Nacken, das „Mindener Tageblatt“ musste schon Anfang November das Papier rationieren. Die Zeitung verringerte die Umfänge und nahm Rubriken aus dem Blatt. Die Branche war alarmiert.

Papierrollen in der Druckerei. Seit Monaten ist die Beschaffung des Materials ein Problem. Foto: Helmut Burlager


Glücklich, wer sich bevorratet hatte. Doch drei Monate später hat sich die Situation nicht geändert, sondern verschlechtert, auch die letzten Druckereien laufen leer. War bisher der Mangel an Altpapier Grund für die Knappheit, daneben der hohe Bedarf des Versandhandels an Verpackungsmaterial, so kommt mit dem Krieg in der Ukraine, der die Energiepreise explodieren lässt, ein weiteres dickes Problem hinzu. Denn zur Papierherstellung sind neben den bereits knappen Rohstoffen Zellstoff und Recyclingpapier auch ungeheure Mengen Strom und Gas nötig. Zeitungen sind gezwungen, die Umfänge zu reduzieren. Hat es so etwas je gegeben? Ja leider, und oft hing das mit Krieg zusammen. Papier war schon zu Beginn des Zeitungsdrucks im 17. Jahrhundert eine knappe und teure Ressource, doch mit dem Entstehen der Massenpresse entwickelte sich eine Papierindustrie, die den immens wachsenden Bedarf meist decken konnte. Aber nicht immer. Eine Papierkrise gab es vor hundert Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg. Der Mangel war so gravierend, dass er im März 1919 von der Weimarer Nationalversammlung behandelt wurde, wie damals die Frankfurter Zeitung berichtete.
„Die Regierung ließ erklären“, hieß es da, „daß Mangel an Kohle, die Streiks und Transportschwierigkeiten den Uebelstand verschulden, daß man aber auf Besserung sinne. Mit dieser Auskunft müssen sich die Zeitungen zufrieden geben, eine baldige Abhilfe scheint nicht in Aussicht zu stehen. Die Papiernot ist seit Langem für die Zeitungen und die ihr nahestehenden Gewerbe eine schwere Kalamität. Ihre Verewigung behindert die Presse an der Erfüllung ihrer Aufgaben.“
Die heftige Klage der Zeitung, dass der Papiermangel sie ausgerechnet in einer weltpolitisch derart angespannten Lage treffe, könnte direkt in die heutige Zeit übertragen werden. „Man erinnere sich, wie vor Zeiten ein Eisenbahnunglück, ein Streik, ein Krawall, eine Feier, ein Kongreß die Zeitungen sofort zur Entsendung von Sonderberichterstattern veranlaßte! Das geht längst nicht mehr, nur das Gerippe der Ereignisse, z.B. in Oberschlesien, in Düsseldorf, Berlin, im Ruhrrevier usw., läßt sich kurz skizzieren, geschweige denn, daß die in dieser Zeit für Deutschland so unendlich wichtigen Vorgänge im Ausland mit der Ausführlichkeit behandelt werden könnten, die ihnen gebührte“, bedauerte der Verfasser.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es genauso. Der Schriftsteller und Zeitungsredakteur Erich Loest erinnerte sich: „Die Zeitung erschien mit vier Seiten, normalerweise, am Sonntag mit sechs, mal auch mit acht, aber mal auch mit zwei Seiten, also ein Blatt hinten und vorne klein bedruckt, das war dann die Leipziger Volkszeitung.“
Und heute? Gerade jetzt, da Menschen nach Informationen über den Krieg und seine Folgen gieren und nach Kommentierung und Einordnung suchen, wird der Platz knapp, weil das Papier fehlt. Im schlimmsten Fall könnte das Erscheinen von Zeitungen unmöglich werden.
Der Unterschied zu damals: Das Medium ist nicht mehr ans Papier gebunden. Wenn wegen der Papiernot Ausgaben nicht mehr oder nur noch mit wenigen Seiten erscheinen könnten, blieben immer noch das E-Paper und das Internetportal der Zeitung, um die Menschen mit Informationen zu versorgen. Ein schwacher Trost, aber immerhin. Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt.

Gehört der Italiener in die Überschrift?

Herkunftsnennung bei Verdächtigen und Straftätern – eine Leserin hat sich beschwert

Ob Journalisten, wenn sie über Straftaten berichten, die Nationalität von Verdächtigen erwähnen dürfen – das ist eine ewige Streitfrage. Eine Leserin hat sich mit diesem Thema an den Ombudsmann gewandt. Grund war die Schlagzeile auf der Titelseite am 23. Februar: „Italiener rammt Kollegen ein Messer ins Herz“. Frau H. schreibt: „Da zeigt sich zu meinem Entsetzen (…) eine latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit. Ich glaube nicht, dass da jemals stehen würde: Deutscher …“ Der Beitrag war gleichlautend in der Wilhelmshavener Zeitung, im Jeverschen Wochenblatt, auf Lokal26 und im Newsletter der Zeitungsgruppe veröffentlicht worden, immer mit derselben Überschrift. War das richtig?

Es gibt zu der Frage der Herkunftsnennung – zu der neben der Nationalität auch die Erwähnung der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder körperlicher Merkmale („südländischer Typ“) gehören kann – keine festen Regeln. In der Vergangenheit hielt sich die Mehrzahl der Medien an den Pressekodex des Deutschen Presserates. Ziffer 12 behandelt das Thema Diskriminierung: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ In einer ergänzenden Richtlinie wird ausgeführt, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit eines Verdächtigen oder Täters zu einer solchen Minderheit nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung eines individuellen Fehlverhaltens führen darf. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, Ausnahmen soll es nur im begründeten öffentlichen Interesse geben.

Bis zur Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 war dies weitgehend Konsens in den Medien. Seither und besonders nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2017 am Kölner Dom, wo es zu Übergriffen aus einer Gruppe von Nordafrikanern heraus gekommen war, wurde die Richtlinie heftig diskutiert und von etlichen Medien nicht mehr beachtet. Nationalität und Ethnie von Tatverdächtigen werden nach wissenschaftlichen Erhebungen heute deutlich häufiger genannt. Das kann auch sinnvoll sein, denn spezielle Erscheinungen von Kriminalität können in bestimmten Milieus besonders ausgeprägt sein, denken wir an das Phänomen der „Ehrenmorde“, an Clankriminalität oder an die Drogenszene.

Wie liegt der Fall nun bei dem angeklagten Italiener? Die Umstände der vor dem Landgericht Oldenburg verhandelten Tat – ein 39-jähriger Gastronomie-Mitarbeiter soll im September 2021 auf Wangerooge einem Arbeitskollegen ein Messer in die Brust gerammt haben – sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Nennung der Nationalität. Denn die Tat geschah in einer Gemeinschaftsunterkunft für italienische Arbeitskräfte, es war dort zu Streitigkeiten gekommen, es ging um Frauen, Alkohol war im Spiel, das Opfer, das vor Gericht aussagen soll, lebt wieder in Italien und muss extra anreisen. Nach den Kriterien des Presserats wäre die Nennung wohl nicht zu rügen.

Aber wäre der Bericht weniger verständlich, wenn man die Nationalität nicht genannt hätte? Wohl kaum. Hätte es in einer Unterkunft von Männern anderer Herkunft unter den anzunehmenden Umständen (Einsamkeit, Enge, Stress, Alkohol, psychischer Druck) zu ebensolchen Vorfällen kommen können? Bestimmt. Ist die Erwähnung des „Italieners“ geeignet, Vorurteile zu verstärken? Das wohl nicht, denn Italiener zu sein, ist bei uns eher positiv konnotiert, und das nicht erst seit der Spaghetti-Werbung aus den Neunzigerjahren („Weck den Italiener in Dir!“).

Grundsätzlich, das besagt der Pressekodex, muss in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob die Herkunft veröffentlicht wird. Das hat die Redaktion getan (siehe unten) und sich dafür entschieden. Aber war das richtig?

Jein, lautet meine Bewertung. Wenig spricht gegen die Nennung der Nationalität im Text, schon wegen der besonderen Umstände auf der Insel und des Prozesses. Die Formulierung in der Schlagzeile hätte nicht sein müssen. Da macht nämlich auch der Presserat in seinen Leitsätzen einen Unterschied: Das Risiko einer diskriminierenden Verallgemeinerung  bestehe unter anderem, wenn die Gruppenangehörigkeit „unangemessen herausgestellt“ werde, „etwa durch Erwähnung in der Überschrift oder Wiederholungen.“

Der Verlockung einer plakativen Überschrift hätte die Redaktion aus meiner Sicht besser widerstanden.

Helmut Burlager, Ombudsmann


Und das sagt die Redaktion zu dem Thema

In der Redaktion ist intensiv darüber diskutiert worden, ob die Nationalität in der Überschrift genannt wird oder nicht, denn natürlich waren sich gerade die erfahrenen Kollegen ihrer Verantwortung bewusst. Die Entscheidung fiel nach einer sorgfältigen Abwägung.

Laut Richtlinie 12.1 des Pressekodex ist zwar darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit von Tätern nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Aber: Bei einem begründeten öffentlichen Interesse darf die Nationalität genannt werden. Für die Nennung kann zudem auch sprechen, wenn eine besonders schwere oder außergewöhnliche Straftat vorliegt. In diesem Fall waren also zwei Kriterien ausschlaggebend: erstens die Schwere der Tat und zweitens ein begründetes öffentliches Interesse.

Letzteres lässt sich ganz neutral schon daher ableiten, dass die Tat auf einer Insel mit gut 1000 Einwohnern geschehen ist. Jeder kennt jeden, bei einem versuchten Totschlag auf einer solch kleinen Insel besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Die Nationalität des mutmaßlichen Täters ist direkt im Kontext mit der Tat zu sehen, führt also nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens:
– die Tat passierte in einer Gemeinschaftsunterkunft für ausschließlich italienische Restaurant-Mitarbeiter
– auch das Opfer ist Italiener
– alle Beteiligten und Zeugen sind Italiener
– das Opfer befindet sich derzeit in Italien.
Italien spielt bei der Berichterstattung über diesen versuchten Totschlag eine zentrale Rolle, zwischen Tat und Nationalität gibt es einen Zusammenhang, da der gesamte Streit, der Tatort und die Personen als Einheit zu sehen sind. Und genau dieser Hintergrund ist wichtig für den Leser, um die Tat und die Tatumstände einordnen zu können.
Es war eben kein Wangerooger, kein x-beliebiger Restaurantmitarbeiter, keine Saisonkraft vom Festland – und das darf der Leser auch bereits in der Überschrift erfahren. Der Redaktion geht es nicht um Klickzahlen oder das unangemessene Herausstellen, sondern bei aller Vorsicht und Sorgfalt in erster Linie um unabhängige und authentische Berichterstattung.  

Cornelia Lüers
Gesamtredaktionsleitung

Wenn Päpste sterben

Zeitungen und Aktualität – das passt nicht wirklich zusammen

Zwischen Redaktionsschluss, Andruck und Verteilung der Zeitung vergehen Stunden. Aktualität ist eine Schimäre. Bild: WZ-Archiv

Päpste sterben immer nachts. Das habe ich als junger Mann gelernt, weil zwei von ihnen mir den Gefallen taten, in tiefer Nacht das Zeitliche zu segnen. Der Tod von Paul VI. überraschte mich, als ich morgens um 6 Uhr in der Redaktion am Fernschreiber stand und die Deutsche Presseagentur eine Eilmeldung schickte. Ein Himmelsgeschenk für uns bei der Mittagszeitung, wir konnten das Dahinscheiden des Pontifex im August 1978 wenige Stunden danach quasi exklusiv melden. Einige Wochen später, ich stand wieder am Ticker, passierte das Gleiche noch einmal. Nach nur 33 Tagen Amtszeit war der Nachfolger, Johannes Paul I., ebenfalls gestorben, es stand am 28. September 1978 mittags in der Zeitung – und zwar nur in unserer. Wir waren begeistert.

Ich erzähle diese Geschichte gerne, wenn es um das Thema Aktualität geht. Denn sie zeigt, dass Schnelligkeit in der Berichterstattung immer von verschiedensten Umständen abhängt. Wäre der Tod der beiden Kirchenführer am frühen Nachmittag bekanntgegeben worden, hätte unser Blatt das Nachsehen gehabt, die konkurrierenden Morgenzeitungen hätten es am nächsten Tag vor uns gemeldet. Aktuell wären sie auch nicht mehr gewesen.

Nicht nur von Tages- und Uhrzeiten hängt viel ab, auch von Technik. Als 1830 Papst Pius III. starb, dürfte diese Nachricht im Jeverland, zu dem das Gebiet des heutigen Wilhelmshaven gehörte, erst mit etlichen Tagen Verzögerung angekommen sein, schließlich gab es noch keine Telegrafenstationen, geschweige denn Fernschreiber oder Telefone. Radio, Fernsehen, Telefax, E-Mail, Internet, Digitalkameras, Handys, Smartphones, Facebook und Twitter – mit jedem technischen Fortschritt hat auch das Thema Aktualität eine neue Wendung genommen.

Die Zeitung kann vor diesem Hintergrund nicht mehr wirklich aktuell sein, liegen doch zwischen Redaktionsschluss, Andruck und Auslieferung etliche Stunden, während sich Nachrichten im Netz in Bruchteilen von Sekunden verbreiten.

Aber Leserinnen und Leser haben natürlich ihre Ansprüche. Das Fußball- oder Handballspiel vom Vorabend möchten sie am nächsten Tag in der Zeitung nachlesen können, auch wenn sie – sofern sie Vollblut-Fans sind – natürlich abends schon bei Kicker Online geschaut oder das Spiel bei Sky gesehen haben. Die Macht der Gewohnheit.

In meiner ersten Woche als Ombudsmann des Brune-Mettcker-Verlages haben mich mehr als zwei Dutzend E-Mails und Briefe erreicht, für die ich mich herzlich bedanke. Viele Anregungen und Hinweise waren dabei, heftige Kritik an Veränderungen in der Zeitung. Manches interessante Gespräch ist daraus entstanden, gegenseitiges Verständnis geweckt worden – oder auch nicht. Auf die verschiedenen Themen werde ich an gleicher Stelle noch eingehen. Doch das Thema Aktualität, ausgelöst durch die Verlegung des Druckortes und festgemacht an den Sportergebnissen, zog sich durch fast alle Schreiben.

Der Verlag stellt nun bei Sportereignissen Ersatz-Aktualität her, in dem zusätzlich zum Abend-E-Paper (das der gedruckten Ausgabe entspricht), ein morgendliches E-Paper freigeschaltet wird, in dem aktualisierte Seiten mit Spielberichten oder Tabellen zu finden sind. Und auch das Internetportal „Lokal26“ soll für Aktualität am Abend genutzt werden. Das hilft nicht allen Leserinnen und Lesern, aber die meisten sind heute ohnehin im Netz unterwegs.

Einstweilen spielen uns wieder die erwähnten Umstände in die Karten. Zum Beispiel der, dass die Winterspiele am vergangenen Freitag in Peking eröffnet wurden und nicht in Lake Placid. Durch die siebenstündige Zeitverschiebung zu China kann auch der letzte Wettbewerb des Tages in die Berichterstattung der gedruckten Ausgabe einfließen. Glück gehabt!

Was ist Ihre Meinung? Haben Sie Fragen, Beschwerden? Sie erreichen mich unter bm.ombudsmann (at) outlook.de

Hervorgehoben

Um was geht’s?

Helmut Burlager ist Ombudsmann des Brune-Mettcker-Verlages mit den Tageszeitungen Wilhelmshavener Zeitung und Jeversches Wochenblatt. Er vermittelt im Konfliktfall zwischen Lesern und Redaktion. Lesen Sie hier mehr dazu: „Ein Anwalt für den Leser“. Ob Fragen, Kritik oder Beschwerden, melden Sie sich gerne unter bm.ombudsmann(at)outlook.com.

Bisher erschienene Kolumnen:

6. März 2023 Einvernehmlich begangene Irreführung Von guten und schlechten Interviews
6. Februar 2023 Die bedauernswerten Autofahrer Über die Tücken der Unfallberichterstattung
1. Februar 2023 Wenn nichts mehr an seinem Platz ist Ein Jahr als Ombudsmann
5. Dezember 2022 Nicht jeder Preis gereicht zur Ehre Wann Journalisten sich (nicht) ehren lassen sollten
4. November 2022 Leseranwälte gesucht Wie sich eine Idee weiterverbreitet
25. August 2022 Darf der das? Über mögliche Konflikte mit dem Standesrecht von Freiberuflern
9. August 2022 Ein Ratsherr im Shitstorm Warum man nicht jeden Beitrag kommentieren kann
27. Juli 2022 Nachrichten von Heinz Über das Duzen in den Medien
5. Juli 2022 Ein Forum – kein Pranger Was in Leserbriefen erlaubt ist und was nicht
25. Juni 2022 Alles nur gekauft? Von Geschenken und Sponsoring
10. Juni 2022 Staatsknete für die Zeitungen?
8. Juni 2022 Nur ein paar Buchstaben Über die Umbenennung des VDL
22. Mai 2022 Es kann nicht bunt genug sein Über Diversität in Redaktionen
12. April 2022 Hinterher ist man immer klüger Eine Corona-Bilanz des Ethikrates
3. April 2022 „Seine legendären Leserbriefe werden wir vermissen“
1. April 2022 Flagge zeigen für die Ukraine
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Ein Anwalt für die Leser

Wilhelmshavener Zeitung und Jeversches Wochenblatt haben künftig einen Ombudsmann

Wilhelmshaven/Jever – Warum arbeitet eine Redaktion so, wie sie arbeitet? Wer bestimmt über die Inhalte einer Zeitung? Darf ein Redakteur schreiben, was er will? Und darf er auch Dinge verheimlichen? Weshalb berichtet das Blatt über das eine Thema, aber nicht über das andere? Warum stellt der Autor sich kommentierend auf die eine Seite und nicht auf die andere? Warum wird mein Leserbrief nicht gedruckt, aber der meines Nachbarn sehr wohl?

Täglich hat die Redaktionsleitung einer Zeitung sich solchen Fragen zu stellen, und nicht immer werden Fragende und Beschwerdeführer und die Redaktion sich dann einig. Die Veränderungen der jüngsten Zeit im Brune-Mettcker-Verlag, bei der Wilhelmshavener Zeitung und beim Jeverschen Wochenblatt haben zu zahlreichen Leserreaktionen geführt, aber auch zu Diskussionen in den Sozialen Medien und in der politischen Öffentlichkeit.

Verlag und Redaktion stellen sich dieser Diskussion, nehmen gern Anregungen wie auch Beschwerden entgegen. Jeder Anruf, jeder Brief, jede Mail wird ernstgenommen und beantwortet. Um diesen steten Meinungsaustausch noch zu fördern und im einen oder anderen Fall zwischen widerstreitenden Interessen zu vermitteln, wird der Brune-Mettcker-Verlag einen Weg gehen, den auch andere Verlage schon erfolgreich beschritten haben. Ab sofort wird es einem Ombudsmann geben.

Das Konzept der Ombudsleute stammt aus dem skandinavischen Raum, der Begriff Ombud ist aus dem Altnordischen abgeleitet und bedeutet so viel wie „Vollmacht“. Der Ombudsmann (natürlich gibt es auch Ombudsfrauen) erfüllt dabei die Aufgabe einer unparteiischen Schiedsperson. Seit den 1970er-Jahren hat sich diese Art von Institution weltweit verbreitet, nicht nur in der Presse, sondern zum Beispiel auch bei Banken, Versicherungen, im öffentlichen Dienst oder in der Pflege und Sozialarbeit.

Im Brune-Mettcker-Verlag soll der Ombudsmann in Zukunft – neben der Redaktionsleitung, die selbstverständlich erster Ansprechpartner für Leserinnen und Leser bleibt – eine weitere und neutrale Anlaufstelle für diejenigen sein, die kritische Fragen zu redaktionellen Arbeitsweisen haben, die mit Entscheidungen der Redaktion hadern oder sich durch Veröffentlichungen falsch oder ungerecht behandelt fühlen.

Nicht immer wird ein Ombudsmann auftretende Konflikte lösen können. Wenn es aber gelänge, in dem einen oder anderen Fall mehr Verständnis bei Betroffenen für Entscheidungen der Redaktion zu wecken oder umgekehrt mehr Sensibilität bei Redakteurinnen und Redakteuren für die Belange der „Kunden“ und der Betroffenen einer Berichterstattung, wäre viel gewonnen.

Maßstab aller Überlegungen sind dabei der grundgesetzlich festgeschriebene Informationsauftrag der Medien und die Freiheit der Presse, das deutsche Presserecht und die ethischen Grundsätze des Deutschen Presserats. Vor allem aber der berechtigte Anspruch der Leserinnen und Leser, für ihr Geld eine handwerklich sauber und professionell gemachte Zeitung geliefert zu bekommen, die ihrem eigenen Anspruch auf Unabhängigkeit und Überparteilichkeit gerecht wird.

Wer ist der neue Ombudsmann?

Helmut Burlager (Jahrgang 1957) ist Journalist im Ruhestand mit mehr als 45-jähriger Berufserfahrung. Volontariat bei der Ostfriesen-Zeitung in Leer, Redakteur beim Jeverschen Wochenblatt, Studium der Publizistik an der Freien Universität in Berlin, Mitglied der Redaktionsleitung im Brune-Mettcker-Verlag in wechselnden Funktionen ab 1990, zuletzt als Chefredakteur beim Anzeiger für Harlingerland und dem Jeverschen Wochenblatt. Seit Mitte 2020 als freier Journalist und in beratender Funktion für den Verlag tätig, übernimmt er das Amt des Ombudsmannes zum 1. Februar 2022. Er lebt in Jever und in Nissan-lez-Enserune in Frankreich.

Welche Kompetenzen hat der Ombudsmann?

Er ist beratend und vermittelnd tätig, hat keinen Einfluss auf redaktionellen Entscheidungen. Diese bleiben in alleiniger Verantwortung der Chefredaktion. Der Ombudsmann hat jedoch jederzeit direkten Zugang zu den an der Entstehung der Zeitung beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, kann Fragen stellen und Hinweise geben.

Was ist seine Position im Verlag?

Der Ombudsmann wird vom Verlag für seine Tätigkeit bezahlt, ist im Rahmen dieser Tätigkeit jedoch nicht weisungsgebunden. Er handelt und entscheidet unabhängig, nach eigenem bestem Wissen und Gewissen.

Arbeitet der Ombudsmann im Verborgenen?

Nein, er wird regelmäßig in diesem Blog und in Zeitungskolumnen über aktuelle Fragen und Problemstellungen in der Redaktion und im Journalismus berichten.

Wie wende ich mich an den Ombudsmann?

Per E-Mail an bm.ombudsmann (at) outlook.de