Mehr Meinung, bitte

Über Mainstream-Vorwürfe gegen die Zeitungen und den Reiz von „Pro & Contra“

Unabhängig und überparteilich zu sein, das erwarten die meisten Leserinnen und Leser von ihrem Blatt. Parteizeitungen wie der Vorwärts oder der Bayernkurier, die einst meinungsbildend wirkten, schwächeln vor sich hin oder sind schon eingestellt worden. Größere Verlagshäuser, die eine politische Richtung verfolgten oder bestimmte Milieus bedienten, können und wollen das oft nicht mehr, weil es die Zahl potenzieller Kunden unnötig beschränkt. Und weil solche Milieus wie die organisierte Arbeiterschaft oder das gläubige Kirchenvolk im Niedergang begriffen sind.

Regionale Tageszeitungen können sich eine einseitige politische (oder etwa kirchlich-konfessionelle) Ausrichtung sowieso nicht leisten, sie würden damit Teile des Publikums verschrecken. Was aber nicht heißt, dass sie in politischen und gesellschaftlichen Fragen nicht deutlich Position beziehen dürfen. Denn Meinungsartikel sind das Salz in der Suppe des täglichen Nachrichtengeschäfts.

Würden Zeitungen ausschließlich Neuigkeiten und Fakten nach dem Wer-was-wann-wo-wie-Schema aneinanderreihen, wären sie langweilig. Die Leser erwarten auch Einordnung, Erklärung, Beurteilung, Standpunkte. Dafür stehen verschiedene Stilformen zur Verfügung: der Kommentar, der Leitartikel, das Essay, die Kolumne, die Satire, das Interview, das Streitgespräch, der Gastbeitrag, der Leserbrief.

Und zum Beispiel das „Pro und Contra“. Eine Darstellungsform, die in dieser Zeitung immer öfter gewählt wird, um deutlich zu machen, dass zu einem politischen oder gesellschaftlichen Thema unterschiedliche Auffassungen herrschen. Und die gibt es ja auch in einer Redaktion, selbst wenn gewisse Kreise gern unterstellen, die Journalisten richteten sich eh alle nach dem „Mainstream“.

So erreichen mich als Ombudsmann regelmäßig Klagen, die Redaktion sei doch komplett „linksgrün“ eingestellt, und schon an der Themenauswahl sei zu erkennen, dass sie die Menschen in eine bestimmte regierungsnahe Richtung drängen wolle. Aber mindestens genauso viele Leute beschweren sich über die Kommentare und Kolumnen des Politikredakteurs Dr. Alexander Will, den sie für rechtslastig halten und dessen harten regierungskritischen Duktus sie nicht mögen.

Die Einsendungen, die ich lese, sprechen nicht dafür, dass es einen „Mainstream“, also eine gemeinsame oder gar vorgegebene Haltung der Redakteurinnen und Redakteure dieser Zeitung gibt. Im Gegenteil, sie beweisen ja die Vielfalt sehr unterschiedlicher Meinungen und Einstellungen. Was sich im „Pro & Contra“ am besten zeigt. Mir zum Beispiel haben die widerstreitenden Beiträge zum Tanzverbot an Karfreitag, zum Führerscheintest für Senioren, zur Zeitumstellung, zum AfD-Verbot, zu den Bauerndemos oder zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gefallen.

Wenn sie gut gemacht sind, das Für und Wider strittiger Entscheidungen sorgfältig herausarbeiten, und wenn die beiden Protagonisten tatsächlich hinter ihrem „Pro“ oder ihrem „Contra“ stehen und nicht nur eine Rolle übernehmen (Achtung: Das merkt der Leser!), regen solche Debatten zum Nachdenken an und zu der Frage: Wo stehe ich selbst eigentlich in dieser Diskussion?

Eine Zeitung ohne kluge Meinungsbeiträge wäre jedenfalls langweilig. Bitte mehr davon und nicht weniger! Oder was meinen Sie dazu?

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