Von guten und schlechten Interviews
Mögen Sie Interviews? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich jedenfalls liebe gut geführte Gespräche, ob im Fernsehen, im Radio, im Netz, in Zeitungen oder Zeitschriften. Weil sie mich inspirieren, amüsieren, aufregen, ärgern, zum Nachdenken bringen, was auch immer, alles ist prima. Aber ich hasse schlecht geführte Interviews, weil sie mich langweilen, meine Zeit stehlen, meinen Verstand beleidigen, meinen Anspruch an journalistische Qualität missachten.

Man könnte meinen, ein Interview zu führen sei einfach. Ein paar schlaue Fragen vorbereitet, auf die der Gesprächspartner mehr oder weniger kluge Antworten gibt, und fertig. Aber nein, ein gutes Interview und erst recht seine Niederschrift ist höchste Kunst. Dabei rede ich noch nicht einmal von Marietta Slomka & Co., die es verstehen, Polit-Profis mit ihren Fragen und ihrem Nachfassen derart zu „grillen“, dass diese entweder mit der Wahrheit herausrücken oder sich als das herausstellen, was sie oft tatsächlich sind, Weltmeister im Verschleiern ihrer wahren Absichten.
Ich rede von niedergeschriebenen Interviews, wie sie auch diese Zeitung regelmäßig veröffentlicht. Und die ganz anders zustande kommen, als viele denken. Zwei böse Zungen, die bekannten Journalisten Wolf Schneider und Paul-Josef Raue, haben in ihrem „Handbuch des Journalismus“ schon vor Jahren behauptet, Interviews seien „eine einvernehmlich betriebene Irreführung des Lesers“.
Das wäre tatsächlich so, wenn Leserinnen und Leser glaubten, ein Frage-Antwort-Spiel sei genau in dem Wortlaut geführt worden, in dem es schwarz auf weiß in der Zeitung steht. Das ist natürlich nicht der Fall. Denn wer spricht schon druckreif, ohne „ääh“, „öhm“, ohne „ja“ und „nicht wahr“ und ohne, dass er mal vergisst, einen angefangenen Satz zu Ende zu bringen. Es ist nicht nur das Recht des Redakteurs, solche Marotten auszubügeln und die Aussagen seines Interviewpartners lesbar und verständlich zu machen, es ist journalistisches Handwerk.
Aber es geht nicht nur darum. Im niedergeschriebenen Interview ist fast alles erlaubt: Fragen dürfen nachträglich verändert und zugespitzt, Antworten gekürzt oder besser auf den Punkt gebracht werden. Der Redakteur kann die Reihenfolge der Fragen und Antworten verändern, ganze Themenkomplexe weglassen, weil die Fragen nicht ergiebig beantwortet wurden, oder auch mal einen Satz zu einer Antwort des Gesprächspartners hinzufügen, damit es für die Leser besser verständlich wird. Alles erlaubt, sofern der Interviewte die Niederschrift vor dem Druck noch einmal zu sehen bekommt und sein Okay gibt. „Autorisierung“ nennt sich das im Fachjargon und ist in Deutschland ein übliches Verfahren vor der Veröffentlichung. Wobei nicht jeder Interviewpartner darauf besteht. „Sie werden das schon richtig machen“, bekommt der Journalist oft zu hören, vor allem, wenn es sich nicht um das erste Interview handelt, das er mit jemandem führt.
Ein handwerklich gut aufbereitetes Interview liest sich, auch wenn es am Ende nur wenig mit dem tatsächlich geführten Gespräch zu tun hat, trotzdem so, als hätten zwei Menschen sich genau mit diesen Worten unterhalten. Als hätte der Interviewpartner hier und da mit seiner Antwort gezögert, noch eine Sekunde nachgedacht, als hätte er sich über eine Frage gewundert oder geschmunzelt.
Tot wirken dagegen Interviews, in denen die Protagonisten so formulieren, als hätten sie gar nicht geplaudert, sondern sich gegenseitig in gestelztem Deutsch Vorträge gehalten. Manchmal liest man Interviews, bei denen schon nach der ersten Frage und Antwort deutlich wird: Die haben gar nicht
miteinander geredet. Da hat der Redakteur nur ein paar schriftlich formulierte Fragen rübergemailt und der Interviewte (beziehungsweise seine Pressestelle) hat schriftlich geantwortet. Oder die PR-Abteilung hat ohne Auftragt gleich das ganze angebliche „Interview“ küchenfertig geliefert. Das ist schlimm, solche Beiträge können einem die Freude an dieser wunderbaren Stilform verleiden.
Auf das nächste gut geführte Interview in dieser Zeitung hingegen freue ich mich jetzt schon jetzt.