Können Fotografen zu Komplizen werden?

Ethische Fragen, die sich nach dem Hamas-Massaker in Israel stellen

Pressefreiheit ist nirgendwo grenzenlos, auch nicht in demokratischen Ländern. Beschränkt wird sie durch das jeweilige Straf- und Zivilrecht und durch berufsständische Grundsätze, die sich die Journalisten weltweit in ihren Organisationen selbst gegeben haben. Diese ethischen Vorgaben entwickeln sich weiter, weil sich durch neue Ereignisse neue Konflikte ergeben.

Die Geiselnahme von Gladbeck im Jahr 1988 zum Beispiel hat in Deutschland zu geänderten Regeln im Umgang mit Verbrechen geführt. Heute heißt es in den Richtlinien des Deutschen Presserates: „Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei. Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben.“

Dass solche Einschränkungen nicht ohne Grund existieren, ist jetzt an einem besonders krassen Fall im Zusammenhang mit den Gräueltaten der Hamas in Israel deutlich geworden. „Sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen lassen“ – ist das von den Nachrichtenagenturen Associated Presse (AP) und Reuters möglicherweise grob missachtet worden?

Diesen Verdacht hegt die israelische Nichtregierungsorganisation „Honest Reporting“, die jetzt darauf aufmerksam machte, dass beide Agenturen Aufnahmen von Berufsfotografen verbreitet haben, die offenbar zu Beginn des Massakers der Hamas entstanden sind. Mit anderen Worten: Die Fotografen waren von Anfang an dabei. Haben sie und eventuell sogar die Agenturen vorab von den Plänen der Hamas gewusst und es für sich behalten? „Honest Reporting“ behauptet das nicht, stellt aber Fragen.

AP hat Fotos des Fotografen Hassan Eslaiah veröffentlicht, die zu dem Zeitpunkt entstanden sind, als eine Gruppe palästinensischer Männer den aufgeschnittenen Grenzzaun durchquerte, um in Richtung eines Kibbuzes vorzudringen. Ein anderes Foto zeigt einen von Hamas-Terroristen gekaperten brennenden israelischen Panzer direkt hinter dem Grenzzaun. Der Fotograf hat, wie auch Fotos aus sozialen Netzwerken belegen sollen, aus dem Gazastreifen kommend live vom ersten Angriff auf israelischem Gebiet berichtet. Er machte auch Aufnahmen, wie Kämpfer das Eingangstor zu dem Kibbuz aufbrachen und wie dort anschließend Häuser brannten.

War er über die Pläne der Hamas informiert? Gar von den Terroristen eingeladen, darüber zu berichten? Ein anderer Fotograf, Ali Mahmud, hat jenes Foto gemacht, das den kaum bekleideten Leichnam der Deutsch-Israelitin Shani Louk auf der Ladefläche eines Pickups zeigte, das schon am Tag des Massakers um die Welt ging. Reuters veröffentlichte Bilder von Geiselnahmen, die die Fotografen Mohammed Fayd Abu Mostafa und Yasser Qudih angefertigt hatten, auch sie seien laut Honest Reporting „gerade rechtzeitig“ an der Grenze gewesen, als die Hamas eingedrungen sei.

Haben die Fotografen nur ihren Job gemacht? In Israel hegt man da Zweifel. „Ist es denkbar, dass die Journalisten einfach so am frühen Morgen an der Grenze auftauchten, ohne sich vorher mit den Terroristen abzusprechen? Oder waren sie Teil des Plans?“, fragt die Nichtregierungsorganisation. AP hat das durch einen Sprecher sofort bestritten, man habe von den Plänen nichts gewusst. Auch die New York Times, die Bilder abgedruckt hatte, erklärte, sie hätten keine Kenntnis gehabt, der Fotograf habe getan, was Fotografen bei bedeutenden Nachrichtenlagen nun mal machen.

Israelische Regierungskreise haben die Fotografen dagegen zu „Komplizen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erklärt.  So geht die Jerusalemer Journalistenvereinigung nicht, sie fordert die betroffenen Medien aber auf, eine gründliche Untersuchung einzuleiten.

Möglich, dass die Journalistenorganisationen ihre Regeln noch einmal überarbeiten müssen. Der Fall, dass Medien von einem geplanten derart schweren Verbrechen vorab erfahren und, statt Alarm zu schlagen, ihre Kameraleute hinschicken, ist in den Richtlinien bis jetzt noch nicht einmal als Möglichkeit erwähnt. Unerträglich, wenn es wirklich so gewesen wäre.

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