Staatsknete für die Zeitungen?

Der eine Satz klingt harmlos. Der andere auch, aber nur auf den ersten Blick. „Freie und unabhängige Medien sind in einer Demokratie unverzichtbar“, lautet der erste. Der zweite: „Wir wollen die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleisten und prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind.“ So steht es im Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und FDP 2021 unterschrieben haben.

Bedrucktes Papier, ist das noch die Zukunft der Zeitungen?
Foto: Helmut Burlager

Warum auch nicht, es wird ja alles Mögliche gefördert, weshalb nicht die Zeitungen? Weil die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse sich nicht mit einer Subventionierung durch den Staat verträgt, sagen Kritiker. Sie fürchten Einflussnahme der Regierenden auf die Medien, nach dem Motto „Wer zahlt, bestimmt die Musik“.

Dass es überhaupt zu der Diskussion gekommen ist, liegt daran, dass ein erfolgreiches Geschäftsmodell in Schwierigkeiten geraten ist. Zeitungsverleger, sagten Spötter früher, hätten die Lizenz zum Gelddrucken. Abo-Erlöse sprudelten so kräftig wie die Einnahmen aus Anzeigen. Dann kam das Internet. Leser entdeckten, dass es Nachrichten gratis gibt, und die Werbetreibenden merkten, dass sie im Netz ihr Publikum finden. Beides ging zu Lasten der Presse, die eine Weile brauchte, die neuen Medien selbst als Geschäftsfeld zu entdecken.

Die gedruckte Zeitung leidet seither, und der Staat ist nicht schuldlos daran. Öffentlich-rechtliche Medien liefern im Internet umsonst, wofür Zeitungsleser zahlen müssen. Mit eigenen Portalen und offensiver PR zerstören Kommunen und Behörden das frühere Nachrichtenmonopol der Lokalzeitungen. Mit immer mehr Bürokratie gängelt der Gesetzgeber die Medienhäuser.

Die Einführung des Mindestlohns brachte das System der Zeitungszustellung durch Tausende von Minijobbern ins Wanken. Der Ruf der Verleger nach Förderung war vor allem ein Hilferuf um Unterstützung bei den Zustellkosten. Die Verteilung gedruckter Zeitungen sei nicht mehr wirtschaftlich darzustellen, es sei zu teuer geworden, jedes abgelegene Haus täglich mit dem Blatt zu versorgen. Der Staat möge, was er da angerichtet habe, bitte wieder ausbügeln.

Dass im Koalitionsvertrag nur ein vorsichtiger Satz zu dem Thema steht, ist kein Zufall.  Denn die vorherige Bundesregierung war kurz vor ihrem Ende mit dem Versuch einer Presseförderung  gescheitert. Es war nicht nur Kritik laut geworden, dass „Staatknete“ die Unabhängigkeit der Presse gefährden könnte. Gewarnt wurde auch vor Wettbewerbsverzerrung, wenn gedruckte Periodika gefördert würden und digital verbreitete Medien leer ausgingen. Den Zwiespalt erkennend, ersann das Bundeswirtschaftsministerium eine 220-Millionen-Euro-Förderung für die „digitale Transformation“ der Zeitungsverlage. Daraufhin drohten Onlinemedien mit Verfassungsklage. Der Regierung kamen schließlich selbst Bedenken, sie legte das Thema auf Eis.

Dabei ist Presseförderung nichts Neues. In den USA wurden schon im 18. Jahrhundert die Portokosten für den Zeitungsversand aufs Minimum gesetzt, auf einen symbolischen Cent. Unterschiedliche Formen direkter und indirekter Presseförderung kennen Schweden, Österreich, Finnland, Frankreich, Norwegen, Spanien. Besonders großzügig ist die Schweiz, sie zahlt kleineren Verlagen bis zu 80 Millionen Franken jährlich. Auch das ist nicht unumstritten. Im Februar kam es zu einer Volksabstimmung über ein geplantes „Medienpaket“. 151 Millionen Franken (143 Mio. Euro) sollten unter anderem für die Zeitungszustellung fließen, auch große Verlage sollten nun profitieren.

Die Debatte darüber wurde für schweizerische Verhältnisse außerordentlich heftig und polemisch geführt. Will der Staat wirklich nur die Medienvielfalt sichern? Oder die eh schon willfährige Presse durch Zuwendungen noch mehr ans Gängelband nehmen? Oder reiche Verleger noch reicher machen? Am Ende lehnten die Schweizer das Medienpaket ab.

Presseförderung ist vermintes Gelände. Es überrascht nicht, dass die Ampelkoalition es nur zögernd betritt. Unterdessen geben in Deutschland die ersten Zeitungsverlage auf.

Nur ein paar Buchstaben

Hat die Zeitung ausgedient? Als einmal täglich ausgeliefertes Nachrichtenpaket auf Papier jedenfalls verliert sie an Bedeutung. Mehr und mehr versorgen uns elektronische Medien rund um die Uhr mit Information. Auch solche aus den bisherigen Zeitungsverlagen, die sich folgerichtig inzwischen oft als Medienunternehmen bezeichnen, so auch das Medienhaus Brune-Mettcker.

Eine andere Umbenennung, die Anfang Juni in Berlin beschlossen wurde, macht das Ende einer Ära umso deutlicher und kündet vom Beginn einer neuen. Der „Verband Deutscher Lokalzeitungen“, dem auch unser Verlag angehört, heißt jetzt  „Verband Deutscher Lokalmedien“. Die bisherige Abkürzung VDL kann praktischerweise beibehalten werden.

Halten die einen die gedruckte Zeitung schon lange für ein Auslaufmodell, so glauben die anderen noch an ihr Überleben. Doch die Namensänderung, der Verzicht auf das Wort Zeitung zugunsten des weiter gefassten Begriffs Medien, spricht Bände. Der Kongress des VDL hat damit nicht nur anerkannt, dass dem Digitalen die Zukunft gehört, er hat auch Medien die Tür zur Mitgliedschaft geöffnet, die ihr lokales Publikum nicht mit Gedrucktem erreichen, sondern über E-Paper, Internetportale, Videokanäle, Podcasts, Newsletter oder andere Verbreitungswege. Einzige Voraussetzung: Die Medien müssen ihre Inhalte gegen Bezahlung anbieten.

Wie sehr die Branche im Wandel ist, machte auf dem Kongress eine kurze Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich, der – vor dem aktuellen Hintergrund der totalen Desinformation des russischen Volkes durch staatliche Medienkontrolle – die Bedeutung der freien, unabhängigen Presse betonte. Sie sei schlechthin systemrelevant für eine funktionierende Demokratie. Gerade Lokalmedien gelinge es, Bürger zu erreichen und zu Engagement für das Gemeinwesen zu motivieren, die sich sonst eher herausgehalten hätten.

Die Bundesregierung verfolge genau, dass die Zeitungsbranche bei der Refinanzierung ihrer Erzeugnisse vor wachsenden Herausforderungen stehe. Die stark steigenden Kosten für Personal, Energie und Papier zwängen Redaktionen dazu, sich eher auf überregionale Inhalte auszurichten. „Wir wollen, dass die flächendeckende Versorgung mit regelmäßig erscheinender Presse gewährleistet bleibt“, sagte Scholz. Das Bundeswirtschaftsministerium prüfe deshalb aktuell, welche Fördermöglichkeiten geeignet sein könnten. Die Regierung habe zudem eine Studie über die Situation der Lokalpresse in Auftrag gegeben.

In der digitalen Transformation sieht der Kanzler aber auch Chancen. „Sie alle wissen heute zum Beispiel viel genauer als in der analogen Ära, wer Ihre Leserinnen und Leser sind, welche Texte sie lesen und welche Inhalte sie interessieren“, sagte Scholz vor den versammelten Verlegern und Journalisten. „Deshalb bin ich zuversichtlich, dass Lokalzeitungen auch in der digitalen Zukunft erfolgreich sein können.“

Wie staatliche Förderung aussehen könnte und warum sie nicht unumstritten ist, lesen Sie in der nächsten Kolumne.

Es kann nicht bunt genug sein

Von der (fehlenden) Diversität in den Redaktionen

Ich bin Arbeiterkind. Dass ich Redakteur werden konnte, habe ich einer glücklichen Fügung zu verdanken. Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern darum, dass Arbeiterkinder es immer noch schwerer haben als andere, in den Journalismus zu kommen. So wie auch Menschen aus Zuwandererfamilien oder Menschen mit „anderer“ sexueller Orientierung. Das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. Beklagt wird ein Mangel an Diversität in den Redaktionen. Der klassische Journalist bei einer Tageszeitung kommt aus einem akademisch geprägten, gutsituierten Elternhaus, aus dem Milieu des Bildungsbürgertums, und ist hetero.

Dabei sollte eine Zeitung, die ein breites Publikum erreichen und ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden will, die ganze Fülle sozialen Lebens und menschlicher Interessen abbilden. Von der großen Politik und dem Leben der High Society bis zu den Problemen auf dem Dorf und dem Alltag der kleinen Leute. Da wäre es hilfreich, wenn in den Redaktionen Menschen säßen, die eine große Bandbreite unterschiedlicher Biografien, Hintergründe und Interessen abdeckten.

Trotz aller Klagen über zu wenig „Verschiedenheit“, es hat sich schon viel verändert. Vor vierzig Jahren waren Redaktionen eine Männerdomäne, in die sich nur ab und zu eine Frau verirrte. Entsprechend stellte sich dann oft die Themenauswahl dar und die Perspektive, aus der Zeitungen berichteten. Heute ist es eher andersherum, in vielen Redaktionen sind Frauen in der Überzahl, was die Akzente in der Berichterstattung verschoben hat. Es gibt so viele Schwule und Lesben wie in jeder anderen Ansammlung von Menschen, und Bewerber ausländischer Herkunft würden von Personalchefs wohl nur dann noch aussortiert, wenn sie die deutsche Sprache nicht hundertprozentig drauf haben.

Aber auch das ist kein wirkliches Hindernis mehr. Seit wenigen Tagen arbeitet in unserer Redaktion eine ukrainische Journalistin mit, die zwar gut Deutsch spricht, das Schriftliche aber noch nicht so perfekt beherrscht. Dank „Google Translate“ kann sie ihre Beiträge in ihrer Muttersprache verfassen und übersetzen lassen. Es funktioniert.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass hier mehr Diversität gewagt wurde. Der syrische Filmemacher, die rumänische Praktikantin, der autistische Jugendliche, der legasthenische Fotograf, der Fahrschul-Phobiker, der kajalgeschminkte Student mit pinkfarbener Mähne, der letztlich als Redakteur für die Zeitung schrieb. Um nur einige zu nennen, die die Redaktion um neue Erfahrungen reicher machten und das Blatt bunter.

Es gibt noch viel zu tun. Die meisten Medien haben bei der Einstellung von Volontären und Redakteuren in der Vergangenheit das Abitur, oft auch ein abgeschlossenes Studium vorausgesetzt. Eine solche Personalpolitik hat vielfach verhindert, dass Seiteneinsteiger aus nichtakademischen Berufen in den Journalismus wechseln. Dabei könnten „Spätstarter“ nicht nur ihr Schreibtalent, sondern auch neue Sichtweisen, andere Alltags- und mehr Lebenserfahrung einbringen.

Der Arbeitsmarkt wird hier weiterhelfen. Je stärker Redaktionen unter Nachwuchsmangel leiden, desto eher werden starre Einstellungsvoraussetzungen fallen. Als bei den Zeitungen in den 1980er-Jahren durch die Umstellung von Blei- auf Computersatz der Beruf des Schriftsetzers ausstarb, hat man diese in der deutschen Schriftsprache besonders sattelfesten Mitarbeiter nicht entlassen, sondern viele von ihnen zu Redakteuren umgeschult. Sie waren nicht die schlechtesten.

So viel müssen wir uns gar nicht verzeihen

Eine Replik auf die Ombudsmann-Kolumne „Hinterher ist man immer klüger“

Von Christoph Hinz

Die Redaktion des Jeverschen Wochenblatts hat die Kolumne zum Anlass genommen, selbst Bilanz zu ziehen. Hier der Beitrag von Christoph Hinz für die Ausgabe vom 14. April 2022.

Zu Beginn der Pandemie waren wir alle Anfänger, wirklich alle: Bürger, Behörden, Virologen, sicher auch wir Journalisten. Und natürlich nehmen wir Wochenblatt-Redakteure uns da nicht aus. Ob wir heute, mehr als zwei Jahre nach Ausbruch der weltweiten Infektionswelle aber schon so sattelfest sind, dass wir in einer „selbstkritischen Aufarbeitung“ wirklich die eigenen Schwachstellen offenlegen könnten, wie es der Ethikrat in der Auswertung seiner Studie fordert, ist fraglich. Wir sind ja noch mittendrin im Schlamassel. Die Frage, wem wir glauben sollen oder können, müssen wir Nachrichtenleute immer noch jeden Tag neu stellen und beantworten. Für einen Kassensturz ist es zu früh, Zwischenbilanzen haben wir reichlich hinter uns.
Abwägung unerlässlich
Dass Kontaktverbote, eine Beschränkung der Freizügigkeit, Handels- und Berufsverbote, Lockdowns, Betretungsverbote, der Maskenzwang oder ein modifiziertes Versammlungsrecht soziale, psychische und wirtschaftliche Folgen haben und deshalb nur zeitlich begrenzt Instrumente eines Krisenmanagements sein könnten, ist uns, „den“ Journalisten bei „den“ Medien immer bewusst gewesen. Die Vermittlung solcher Einschränkungen von Freiheitsrechten haben wir beim Wochenblatt von Anfang an mit einem breiten Informations- und Serviceangebot flankiert und mit Kommentaren aus der Redaktion auch selbst in Frage gestellt. Ob wir im Ergebnis der Abwägung von staatlicher Anordnung und dem Schutz der Bevölkerung immer absolut richtig gelegen haben? Wer vermag das zu sagen?
Freiheitsrechte
Unantastbar ist die Würde des Menschen im Grundgesetz, etliche darin verbriefte Freiheitsrechte aber dürfen vorübergehend eingeschränkt werden, wenn sich dies aus der Abwägung ergibt. Und ein Ziel der Abwägung beim Gesetzgeber und seinen Organen, aber auch bei uns, der Presse, muss der Schutz der Bevölkerung sein. Womit wir im Interesse unserer Leser und unserer Arbeit immer richtig gelegen haben, das war die bewusst weit offen gehaltene Dialogkultur der Redaktion nach innen und außen. Noch nie haben wir Wochenblatt-Journalisten so viel gesprochen und zugehört.
Wer aus seiner persönlichen Situation heraus den Sinn von Schutzregeln und Beschränkungen in Frage stellen wollte, der konnte das bei uns tun. Wir haben es auch selbst getan, wenn uns etwas widersprüchlich, chaotisch oder einfach gaga vorgekommen ist. Wir haben auch Querdenken-Anhänger auf einer ihrer Versammlungen begleitet und darüber berichtet. Nach den Regeln unseres Berufs, aber kritisch.
Dialogkultur pflegen
Als „Querdenken“ bundesweit aber für Angriffe auf Journalisten und für die Billigung solcher Angriffe stand, haben wir das eingestellt. Es kam auch nichts „Neues“ aus dieser Szene, das inhaltlich zu berichten gewesen wäre – außer dass diese Menschen demokratiefeindlich und menschenverachtend agierten und es immer noch tun.
Werden wir uns wirklich „alle viel verzeihen“ müssen, wie der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn prophezeit hat? Die Redaktion dieser Zeitung glaubt eher: Nein. Müssen wir im Redaktionsteam offen für Kritik bleiben und unsere Dialog- und Streitkultur pflegen, um verantwortungsbewusst mit Informationen und den nötigen Fragen dazu umgehen zu können. Ja, da sind wir ganz beim Deutschen Ethikrat.

Hinterher ist man immer klüger

Der Deutsche Ethikrat und die Medien in Corona-Zeiten

 „Wir werden uns alle viel verzeihen müssen.“ Was Gesundheitsminister Spahn zu Beginn der Corona-Pandemie mit Blick auf zu befürchtende Fehlentscheidungen sagte, gilt bis heute. Schließlich sind fast alle Menschen vom Ausmaß und der Wucht der Seuche überfordert worden. Auch die Medien waren auf so etwas nicht vorbereitet, weder in ihrer Arbeitsorganisation, bei der Hygienekonzepte und Telearbeit kaum eine Rolle gespielt hatten, noch wirtschaftlich, als ihnen plötzlich Werbeumsätze und Veranstaltungen wegbrachen. Und schon gar nicht waren sie gewappnet, was die Berichterstattung über die Infektionswelle und ihre Folgen anging.

Wie alle anderen mussten sich auch Journalisten in die Situation hineintasten. Herausfinden, was das für eine Krankheit ist, wie bedrohlich sie werden könnte, welche Schutzmaßnahmen es gibt, welche Aufgaben der Staat hat, wie die Zuständigkeiten sind, was eine Beschneidung von Freiheitsrechten an Fragen und Problemen aufwirft, wie mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen umzugehen ist und wie mit Falschinformationen und Verschwörungstheorien.

Und wem, fragten sich auch Journalisten, soll man glauben? Den streitenden Experten? Den unentschlossenen Politikern? Den Corona-Skeptikern, Masken-Hassern und Impfgegnern? Den Medizinern oder den Juristen? Spahn oder Lauterbach? Drosten oder Streek? Dem Spiegel oder der Springer? Die Pandemie nahm kein Ende, der Streit auch nicht.

Jüngst hat der Deutsche Ethikrat eine Studie zum Verlauf der Pandemie veröffentlicht. Auf 162 Seiten geht es ganz wissenschaftlich und trotzdem erstaunlich lesenswert um medizinische, politische, juristische, gesellschaftliche,  psychologische und andere Fragestellungen, die sich im Zuge der Krise aufgetan haben. Der Titel „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ lässt nicht unbedingt ahnen, dass hier eine umfassende Zwischenbilanz gezogen wird, aus der sich für die Zukunft einiges lernen lässt.

So wird den Politikern ins Stammbuch geschrieben, dass bei einschneidenden Maßnahmen in Pandemiezeiten ein hohes Maß an Eindeutigkeit, Klarheit und Nachvollziehbarkeit unerlässlich sei und dass unvollständige, unklare oder unverständliche Vorschriften die Akzeptanz in der Bevölkerung erschüttern könnten. „Das Vertrauen der Menschen in den deutschen Staat als Demokratie, Rechtsstaat und Bundesstaat hat in der Pandemie gelitten“, urteilt der Ethikrat.

Für die Presse gilt das vermutlich auch. So schreibt der Ethikrat: „Massenmedien (…) haben gerade in Krisenzeiten die für eine republikanisch verfasste Demokratie unverzichtbare Aufgabe, das strittige Für und Wider von Maßnahmen in einer räsonierenden Öffentlichkeit hör‐ und sichtbar zu machen.“ Der kritische Teil dieser Aufgabe sei zu Beginn der Corona‐ Krise nicht immer im wünschenswerten Maß erfüllt worden. Die anfängliche Zurückhaltung mit Kritik sei angesichts der Größe, der Neuartigkeit und der Plötzlichkeit der Problemlagen vielleicht verständlich und berechtigt gewesen. „Im weiteren Verlauf der Pandemie jedoch wurden selbst offenkundige Fehlentwicklungen (…)  kaum in der notwendigen Deutlichkeit aufgegriffen.“

Für die Zukunft empfiehlt der Ethikrat nicht nur den Medien, in Phasen großer Unsicherheit die öffentliche Debatte mit besonderer Sensibilität für mögliche Folgen von Maßnahmen zu führen. Nach Aufmerksamkeit heischende Panikmache sei ebenso zu vermeiden wie Verharmlosung und grundlose Entwarnung. Aufklärung und Information dürften nicht bevormundend „von oben herab“ erfolgen, es müsse auch Raum für Diskussion gegeben werden. Wichtig sei zugleich, in solchen Zeiten der Flut an Falschinformationen entgegenzuwirken.

Der Ethikrat fordert Politik und Wissenschaft, aber auch die Medien zu einer selbstkritischen Aufarbeitung auf, die es ermögliche, Schwachstellen offenzulegen und Abläufe zu korrigieren. „In einer Krise von weltgeschichtlichem Ausmaß sind Fehler und Fehlentscheidungen unvermeidlich“, schreiben die Autoren und drücken es schließlich so volkstümlich aus wie Jens Spahn zu Beginn der Krise: „Hinterher ist man immer klüger.“

Die ganze Studie ist hier zu finden: www.ethikrat.org/publikationen/

„Seine legendären Leserbriefe werden wir vermissen“

Redaktionen gehen unterschiedlich mit Leserbriefen um. Manche drucken nur eine kleine Auswahl der Leserreaktionen ab, manche kürzen sie auf drei oder vier markante Sätze zusammen. In einen Haus gibt es eine eigene Redaktion nur für Leserzuschriften, im anderen geht alles über den Tisch des Chefredakteurs, im dritten bleibt es dem Zufall überlassen, von wem ein Leserbrief bearbeitet wird und ob er erscheint.

Mich erreichten Zuschriften von Lesern, die sich beklagten, dass Ihre Briefe nicht zeitnah veröffentlicht worden sind. Das kommt in der Tat vor und kann verschiedene Gründe haben. Der naheliegende heißt: fehlender Platz. In einem normalen Monat treffen in den Postfächern unserer Zeitungen bis zu 50 Leserbriefe und Dutzende Leserfotos ein. Sie alle und in voller Länge zu bringen, dazu müsste die Redaktion acht bis zehn Seiten mehr drucken können. Das kann sie erstens nicht, und wer würde das zweitens alles lesen wollen?

Die Redaktion bemüht sich,  wöchentlich mindestens eine Seite mit Zuschriften zu drucken – und  Briefe zu aktuellen Diskussionen auch zwischendurch. Leider gelingt das nicht immer. Ohnehin werden nicht alle Leserbriefe gedruckt. Mal sind sie viel zu lang, mal wird das Anliegen des Einsenders nicht richtig deutlich, mal fehlen die Kontaktdaten des Einreichenden, mal enthält ein Brief beleidigende oder verunglimpfende Aussagen, mal besteht der Schreiber auf Anonymität oder untersagt Kürzungen und Bearbeitungen, manchmal ist der Inhalt eines Leserbriefs zum Zeitpunkt seines Eintreffens schon von den Ereignissen überholt worden. In allen Fällen sollten die Einsender aber eine Antwort erhalten.

„Offene Briefe“, die zugleich an andere Stellen gerichtet sind, druckt die Zeitung ebenso wenig wie Schilderungen von persönlichen Streitereien oder Nachbarschaftskonflikten. Auch sollen Politiker und Funktionäre, von denen ohnehin schon ständig zu lesen ist, sich nicht auch noch durch Leserbriefe profilieren können, vor allem nicht in Wahlkampfzeiten.

Zeitlicher Verzug kann noch andere Gründe haben. Briefe von Einsendern, die der Redaktion nicht bekannt sind, müssen geprüft werden: Gibt es den Absender, hat er die richtige Adresse und Telefonnummer hinterlassen? In vielen Fällen wird nachgefragt, und nicht immer erreicht man den Verfasser sofort. Kommt keine Reaktion, kann der Brief nicht veröffentlicht werden. Das gilt auch für Fälle, in denen die Redaktion den Autor vergeblich bittet, einen zu langen Leserbrief zu kürzen.

Und schließlich gibt es da noch die Vielschreiber. Den Aktivisten, der mindestens einmal pro Woche einen Leserbrief gegen die regenerativen Energien abschickt. Den kritischen Bürger, der der Stadt- und Kreisverwaltung ständig genau auf die Finger schaut und alles kommentieren möchte. Den Hobby-Schreiber, an dem eigentlich ein Journalist verlorengegangen ist und der seine Leidenschaft im Leserforum ausleben möchte. Bei ihnen muss die Redaktion abwägen, wie oft sie sie zu Wort kommen, bevor es andere Zeitungsleser nervt. Es gibt Leserbriefschreiber, mit denen regelrecht Abkommen getroffen wurden, wie oft sie was schicken „dürfen“.

Denn Leserbriefe sind ja nicht nur ein wunderbares Feedback für die Arbeit der Redaktion und nicht nur ein Forum für demokratische Debatten. Sie dienen hier und da auch dem Ego der Schreiber. Und das ist nicht einmal negativ gemeint. Mich hat jüngst eine Todesanzeige in unserem Blatt sehr berührt, in der die Freunde des Dahingeschiedenen ihn mit ungewöhnlichen Worten würdigten. Sie schrieben: „Auch seine legendären Leserbriefe werden wir vermissen.“

Flagge zeigen für die Ukraine?

Krieg, das betrifft immer nur andere. Mit dieser Haltung haben wir uns seit der Wirtschaftswunderzeit gemütlich eingerichtet. Gewiss, im kalten Krieg zwischen Ostblock und Nato gab es Krisen, in denen den Menschen mulmig wurde. Und mit dem Jugoslawien-Konflikt in den Neunzigern kam uns der Krieg schon mal ziemlich nahe. Aber wer glaubte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch ernsthaft an bewaffnete Auseinandersetzungen, die uns selbst berühren würden?

Titelkopf der Wilhelmshavener Zeitung vom 19. März 2022.

Und plötzlich ist Krieg. Mitten in Europa. Mit den Nachrichten aus der Ukraine, mit den Videos, den Bildern, den Flüchtlingen und mit den wirtschaftlichen Auswirkungen kam die Angst nach Deutschland, dass wir bald mittendrin stecken könnten. Zeitungen, die seit mehr als 70 Jahren über Krieg nur auf im Auslandsressort berichtet haben, müssen sich nun sogar in ihren Lokalredaktionen mit der Frage auseinandersetzen: Wie gehen wir damit um?

Ein blau-gelber Zeitungstitel ist schnell gemacht, eine Spendenaktion leicht organisiert, mit sowas hat man ja Erfahrung. Berichte über die vielen Hilfsaktionen und ans Herz gehende Geschichten über geflüchtete Menschen sind jeder Redaktion, die seit zwei Jahren ihre Themen hauptsächlich aus der Corona-Lage generierte, unbedingt willkommen. Und die Leser lechzen nach Informationen.

„Kriegszeiten sind Nachrichtenzeiten“, sagte die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Margreth Lünenborg von der Freien Universität Berlin kürzlich in einer Diskussion mit den Mitgliedern des Verbandes der Deutschen Medienombudsleute (VDMO). Doch über den Krieg zu berichten, erfordert nach ihrer Einschätzung ein besonderes Verantwortungsbewusstsein. Dem würden die Medien überwiegend gerecht, es gebe aber auch Defizite.

So sehen Lünenborg und ihre Kolleginnen Dr. Anna Litvinenko und Prof. Dr. Carola Richter, die die bisherige Berichterstattung analysiert haben, die Gefahr, dass ein antirussisches Feindbild die Veröffentlichungen prägt. Das könne dazu führen, dass pauschal alle Russinnen und Russen verunglimpft würden. Individuen dürften aber nicht für Staatshandlungen verantwortlich gemacht werden.

Titelkopf des Jeverschen Wochenblatts vom 19. März 2022.

Journalisten sollten weder Helden stilisieren noch Scharfmachern eine Bühne geben. Kriegsrhetorik und Waffenjournalismus sollten sie unterlassen, stattdessen verständigungsorientierte Stimmen stärken und die negativen Auswirkungen des Krieges für die Zivilgesellschaft in der Ukraine, aber auch in Russland hervorheben. Sie sollten zudem die politischen und militärischen Maßnahmen in Deutschland kritisch einordnen. Lünenborg rät zudem, nationalistische Parteinahme zu vermeiden und die am Krieg beteiligten Nationen nicht von vornherein nach „gut“ und „böse“ einzuteilen. Journalisten sollten sich nicht pauschal „für die Ukraine“ einsetzen und nicht „Flagge zeigen“.

Womit wir wieder beim blau-gelben Zeitungskopf wären. War das schon Parteinahme? Oder nur ein legitimes Zeichen der Solidarität mit einer Nation, die brutal angegriffen wird?

Dass die Medien auf Hilfsangebote für die Ukraine, auf Spendenaktionen und andere Unterstützung für die Opfer aufmerksam machen sollten, finden auch Prof. Margreth Lünenborg und ihre Kolleginnen: „Solche Informationen“, sagen sie, „können überlebenswichtig sein.“

Hier die Thesen des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin: Für einen verantwortungsvollen Journalismus im Krieg

Zum Weiterlesen: Kriegsbilder erfordern sorgfältige Abwägung Deutscher Presserat

Und von Marlis Prinzing: Bilder, die wir sehen müssen

Rügen gegen „Bild“ und andere

Nachdem hier gestern über den „Freispruch“ für die Bild-Zeitung in der Causa „Die Lockdown-Macher“ berichtet wurde (hier geht es zum Beitrag), sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass sich BILD in derselben Sitzung des Beschwerdeausschusses gleich sechs Rügen eingefangen hat. Einmal hat das Blatt den griechischen Finanzminister irreführend zitiert, einmal einen Tatverdächtigen erkennbar dargestellt und vorverurteilt, einmal ein Opfer-Foto ohne Einwilligung der Familie veröffentlicht, einmal das Opfer eines Wohnungsbrandes durch Berichterstattung erneut zum Opfer gemacht, einmal die Misshandlung eines Babys im Video gezeigt, einmal das Foto eines Verletzten nach einem Suizidversuch gezeigt.

Einzelheiten und den ganzen Bericht des Presserats über die jüngste Spruchpraxis lesen Sie hier: Deutscher Presserat

Bild-Titel „Die Lockdown-Macher“ war journalistisch in Ordnung

Die Titelstory „Die Lockdown-Macher“ der Bild-Zeitung in ihrer Print- und in der Online-Version hat nicht gegen den Pressekodex des Deutschen Presserats verstoßen. Der Deutsche Presserat hat Beschwerden über den Artikel als unbegründet zurückgewiesen. Der Bericht, der Porträtfotos von drei führenden Wissenschaftlern mit Corona-Maßnahmen als „Weihnachtsgeschenken“ zeigte, hat demnach nicht gegen den die ethischen Richtlinien verstoßen.

In einer heute veröffentlichten Mitteilung des Presserates heißt es:

„Die von der Redaktion vorgenommene Bezeichnung der drei Experten als „Lockdown-Macher” hat einen Tatsachenkern und verletzt deshalb nicht die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex, stellte der Beschwerdeausschuss fest. Der Einfluss der genannten Wissenschaftler auf politische Entscheidungen über Corona-Maßnahmen lässt sich belegen. Die Bezeichnung „Die Lockdown-Macher“ ist daher eine zulässige Zuspitzung, die pointiert und streitbar sein mag, jedoch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Mitglieder des Presserats kamen mehrheitlich zu dem Schluss, dass auch die Darstellung der drei Wissenschaftler nebeneinander im Porträt zulässig ist und nicht das Ansehen der Presse nach Ziffer 1 des Pressekodex beschädigt. Durch ihre Auftritte in den Medien während der Corona-Pandemie haben sich die Experten selbst in die Öffentlichkeit begeben und müssen es hinnehmen, auch persönlich kritisiert zu werden, wertete der Ausschuss.

Über den Beitrag bei BILD und BILD.DE hatten sich im Dezember des vergangenen Jahres 94 Personen und wissenschaftliche Institutionen beschwert. Sie kritisierten, der Artikel erwecke den Eindruck, dass Wissenschaftler persönlich für Corona-Maßnahmen verantwortlich seien und nicht etwa die Politik.  Dies schüre Verschwörungstheorien und fördere Hetze gegen Wissenschaftler.“

https://www.presserat.de/

Die nackte Frau am schwarzen Brett

Von Medienethik und der Arbeit des Deutschen Presserats

„Die Presse ist frei.“ Ganz schlicht und einfach ist das im ersten Satz des Niedersächsischen Pressegesetzes formuliert. Doch jede Freiheit hat ihre Grenzen, auch Journalisten müssen sich an die die Gesetze halten. Sie genießen nur wenige Sonderrechte wie den Auskunftsanspruch gegenüber Behörden oder das Redaktionsgeheimnis, das selbst ein Gericht nicht aushebeln kann.

Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Aber sie hat auch ihre Grenzen. Foto: Helmut Burlager

Aber wie im  richtigen Leben gilt: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Die deutsche Presse hat sich vor fast fünfzig Jahren ein „Grundgesetz“ gegeben, die Publizistischen Grundsätze, auch Pressekodex genannt. Seither können Leserinnen und Leser sich beim Deutschen Presserat beschweren, wenn sie einen Verstoß gegen die ethischen Grundsätze vermuten, und ein Beschwerdeausschuss urteilt darüber. Hat eine Redaktion die Regeln gebrochen, kann das Gremium je nach Schwere des Verstoßes Hinweise, Missbilligungen oder Rügen aussprechen.

Ich kenne nur wenige Redaktionen, die noch nie mit dem Presserat zu tun hatten, und noch weniger Redakteure, denen eine Sanktion durch den Presserat egal wäre. Die Bild-Zeitung ist dafür bekannt, dass sie auf Rügen nicht reagiert und sie nicht abdruckt. Die meisten betroffenen Blätter aber tun das, auch wenn die Spruchpraxis des Presserats nicht jedem gefällt. Denn nicht jeder Journalist teilt alle Auffassungen, die seit der ersten Verabschiedung im Jahr 1973 in die Grundsätze, Leitsätze und Richtlinien eingeflossen sind.

Die Redaktionen des Brune-Mettcker-Verlages orientieren sich am Pressekodex und halten sich an rechtliche Bestimmungen. Und doch haben sie es in der Vergangenheit hier und da mit dem Presserat oder auch mit Anwälten zu tun bekommen. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem wir das Bild einer nackten Frau – mit deren Einverständnis aufgenommen und bewusst unscharf gehalten – veröffentlicht haben und sie anschließend Schmerzensgeld verlangte, weil Arbeitskollegen sie erkannt und das Foto vergrößert ans schwarze Brett gehängt hatten. Der Fall wurde niedergeschlagen, so wie der Presserat auch die Beschwerde eines Lesers abwies, dessen Leserbrief nicht veröffentlicht, aber redaktionell ausgewertet und dazu Dritten zugänglich gemacht worden war. Er beklagte eine Verletzung des Redaktionsgeheimnisses – aber sein Leserbrief war in einer anderen Zeitung schon erschienen und damit längst nicht mehr geheim.

Vor nicht allzu langer Zeit ist eines unserer Blätter gerügt worden, weil eine bezahlte Anzeige im redaktionellen Teil nicht als solche kenntlich gemacht worden war. Das ist unangenehm, war auch nicht gewollt, aber die Zeitung steht damit nicht alleine da. Der Presserat hat soeben seinen Jahresbericht vorgelegt. 2021 sind nicht weniger als 2556 Beschwerden eingegangen. In 60 Fällen hat der Presserat daraufhin eine Rüge erteilt, davon betrafen 21 das Thema Schleichwerbung, also mehr als ein Drittel.

Regelwerk für Journalisten. Der Pressekodex des Deutschen Presserates. Foto: Helmut Burlager

Neben den Rügen wurden 83 Missbilligungen und 97 Hinweise ausgesprochen. Bei 39 begründeten Beschwerden verhängte der Presserat keine Sanktion. Jede dritte Rüge betraf den Persönlichkeitsschutz, weil eine Redaktion Fotos, Namen oder sensible Informationen von Betroffenen ohne deren Zustimmung veröffentlicht hatte. Ein Thema, das auch in unseren Redaktionen in jedem Einzelfall wieder neu zu diskutieren ist.

Die gute Nachricht in der Jahresbilanz ist, dass 2277 der 2556 Beschwerden als unbegründet abgewiesen wurden. Bei aller Freiheit sind sich die Medien – das darf man aus der geringen Zahl der Rügen, Missbilligungen und Hinweise herauslesen – ihrer ethischen Verantwortung sehr bewusst.

@ www.presserat.de