Es kann nicht bunt genug sein

Von der (fehlenden) Diversität in den Redaktionen

Ich bin Arbeiterkind. Dass ich Redakteur werden konnte, habe ich einer glücklichen Fügung zu verdanken. Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern darum, dass Arbeiterkinder es immer noch schwerer haben als andere, in den Journalismus zu kommen. So wie auch Menschen aus Zuwandererfamilien oder Menschen mit „anderer“ sexueller Orientierung. Das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. Beklagt wird ein Mangel an Diversität in den Redaktionen. Der klassische Journalist bei einer Tageszeitung kommt aus einem akademisch geprägten, gutsituierten Elternhaus, aus dem Milieu des Bildungsbürgertums, und ist hetero.

Dabei sollte eine Zeitung, die ein breites Publikum erreichen und ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden will, die ganze Fülle sozialen Lebens und menschlicher Interessen abbilden. Von der großen Politik und dem Leben der High Society bis zu den Problemen auf dem Dorf und dem Alltag der kleinen Leute. Da wäre es hilfreich, wenn in den Redaktionen Menschen säßen, die eine große Bandbreite unterschiedlicher Biografien, Hintergründe und Interessen abdeckten.

Trotz aller Klagen über zu wenig „Verschiedenheit“, es hat sich schon viel verändert. Vor vierzig Jahren waren Redaktionen eine Männerdomäne, in die sich nur ab und zu eine Frau verirrte. Entsprechend stellte sich dann oft die Themenauswahl dar und die Perspektive, aus der Zeitungen berichteten. Heute ist es eher andersherum, in vielen Redaktionen sind Frauen in der Überzahl, was die Akzente in der Berichterstattung verschoben hat. Es gibt so viele Schwule und Lesben wie in jeder anderen Ansammlung von Menschen, und Bewerber ausländischer Herkunft würden von Personalchefs wohl nur dann noch aussortiert, wenn sie die deutsche Sprache nicht hundertprozentig drauf haben.

Aber auch das ist kein wirkliches Hindernis mehr. Seit wenigen Tagen arbeitet in unserer Redaktion eine ukrainische Journalistin mit, die zwar gut Deutsch spricht, das Schriftliche aber noch nicht so perfekt beherrscht. Dank „Google Translate“ kann sie ihre Beiträge in ihrer Muttersprache verfassen und übersetzen lassen. Es funktioniert.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass hier mehr Diversität gewagt wurde. Der syrische Filmemacher, die rumänische Praktikantin, der autistische Jugendliche, der legasthenische Fotograf, der Fahrschul-Phobiker, der kajalgeschminkte Student mit pinkfarbener Mähne, der letztlich als Redakteur für die Zeitung schrieb. Um nur einige zu nennen, die die Redaktion um neue Erfahrungen reicher machten und das Blatt bunter.

Es gibt noch viel zu tun. Die meisten Medien haben bei der Einstellung von Volontären und Redakteuren in der Vergangenheit das Abitur, oft auch ein abgeschlossenes Studium vorausgesetzt. Eine solche Personalpolitik hat vielfach verhindert, dass Seiteneinsteiger aus nichtakademischen Berufen in den Journalismus wechseln. Dabei könnten „Spätstarter“ nicht nur ihr Schreibtalent, sondern auch neue Sichtweisen, andere Alltags- und mehr Lebenserfahrung einbringen.

Der Arbeitsmarkt wird hier weiterhelfen. Je stärker Redaktionen unter Nachwuchsmangel leiden, desto eher werden starre Einstellungsvoraussetzungen fallen. Als bei den Zeitungen in den 1980er-Jahren durch die Umstellung von Blei- auf Computersatz der Beruf des Schriftsetzers ausstarb, hat man diese in der deutschen Schriftsprache besonders sattelfesten Mitarbeiter nicht entlassen, sondern viele von ihnen zu Redakteuren umgeschult. Sie waren nicht die schlechtesten.

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