Krieg, das betrifft immer nur andere. Mit dieser Haltung haben wir uns seit der Wirtschaftswunderzeit gemütlich eingerichtet. Gewiss, im kalten Krieg zwischen Ostblock und Nato gab es Krisen, in denen den Menschen mulmig wurde. Und mit dem Jugoslawien-Konflikt in den Neunzigern kam uns der Krieg schon mal ziemlich nahe. Aber wer glaubte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch ernsthaft an bewaffnete Auseinandersetzungen, die uns selbst berühren würden?

Und plötzlich ist Krieg. Mitten in Europa. Mit den Nachrichten aus der Ukraine, mit den Videos, den Bildern, den Flüchtlingen und mit den wirtschaftlichen Auswirkungen kam die Angst nach Deutschland, dass wir bald mittendrin stecken könnten. Zeitungen, die seit mehr als 70 Jahren über Krieg nur auf im Auslandsressort berichtet haben, müssen sich nun sogar in ihren Lokalredaktionen mit der Frage auseinandersetzen: Wie gehen wir damit um?
Ein blau-gelber Zeitungstitel ist schnell gemacht, eine Spendenaktion leicht organisiert, mit sowas hat man ja Erfahrung. Berichte über die vielen Hilfsaktionen und ans Herz gehende Geschichten über geflüchtete Menschen sind jeder Redaktion, die seit zwei Jahren ihre Themen hauptsächlich aus der Corona-Lage generierte, unbedingt willkommen. Und die Leser lechzen nach Informationen.
„Kriegszeiten sind Nachrichtenzeiten“, sagte die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Margreth Lünenborg von der Freien Universität Berlin kürzlich in einer Diskussion mit den Mitgliedern des Verbandes der Deutschen Medienombudsleute (VDMO). Doch über den Krieg zu berichten, erfordert nach ihrer Einschätzung ein besonderes Verantwortungsbewusstsein. Dem würden die Medien überwiegend gerecht, es gebe aber auch Defizite.
So sehen Lünenborg und ihre Kolleginnen Dr. Anna Litvinenko und Prof. Dr. Carola Richter, die die bisherige Berichterstattung analysiert haben, die Gefahr, dass ein antirussisches Feindbild die Veröffentlichungen prägt. Das könne dazu führen, dass pauschal alle Russinnen und Russen verunglimpft würden. Individuen dürften aber nicht für Staatshandlungen verantwortlich gemacht werden.

Journalisten sollten weder Helden stilisieren noch Scharfmachern eine Bühne geben. Kriegsrhetorik und Waffenjournalismus sollten sie unterlassen, stattdessen verständigungsorientierte Stimmen stärken und die negativen Auswirkungen des Krieges für die Zivilgesellschaft in der Ukraine, aber auch in Russland hervorheben. Sie sollten zudem die politischen und militärischen Maßnahmen in Deutschland kritisch einordnen. Lünenborg rät zudem, nationalistische Parteinahme zu vermeiden und die am Krieg beteiligten Nationen nicht von vornherein nach „gut“ und „böse“ einzuteilen. Journalisten sollten sich nicht pauschal „für die Ukraine“ einsetzen und nicht „Flagge zeigen“.
Womit wir wieder beim blau-gelben Zeitungskopf wären. War das schon Parteinahme? Oder nur ein legitimes Zeichen der Solidarität mit einer Nation, die brutal angegriffen wird?
Dass die Medien auf Hilfsangebote für die Ukraine, auf Spendenaktionen und andere Unterstützung für die Opfer aufmerksam machen sollten, finden auch Prof. Margreth Lünenborg und ihre Kolleginnen: „Solche Informationen“, sagen sie, „können überlebenswichtig sein.“
Hier die Thesen des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin: Für einen verantwortungsvollen Journalismus im Krieg
Zum Weiterlesen: Kriegsbilder erfordern sorgfältige Abwägung Deutscher Presserat
Und von Marlis Prinzing: Bilder, die wir sehen müssen
Ein Kommentar zu „Flagge zeigen für die Ukraine?“